Gleich drei bemerkenswerte Lebenswerke stehen im Zentrum der neuen Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle. Durch unterschiedliche Stile und Arbeitsweisen zeichnen sie sich aus und stehen somit für künstlerische Vielfalt insgesamt. Gemeinsam ist ihnen, dass Frauen sie geschaffen haben, die sich zeitweilig mit der Formensprache des Surrealismus beschäftigten und auch schriftstellerisch äußerten. Alle drei Künstlerinnen setzten sich in ihren Werken mit dem menschlichen Körper auseinander – und alle fanden in der Kunstwelt erst spät größere Anerkennung, sofern sie überhaupt angemessen gewürdigt wurden.
Für Inge Herold, Kuratorin der Schau und stellvertretende Direktorin der Kunsthalle, steht außer Frage, dass die US-Amerikanerin Nan Hoover (1931 - 2008), die Deutsche Anneliese Hager (1904 - 1997) sowie die Österreicherin Maria Lassnig (1919 - 2014) zu den wichtigsten Kunstschaffenden des 20. Jahrhunderts zählen. Einzig Lassnig hat es indes hierzulande mit ihren kühlen und spröde wirkenden, expressiv-figurativen oder informellen Bildern, die vor allem körperlichen Empfindungen nachspüren, zu weitreichender Bekanntheit gebracht.
Zur Ausstellung
- Die Ausstellung „Hoover Hager Lassnig“ wird am Donnerstag, 9. November, 19 Uhr, eröffnet. Sie endet am 11. Februar 2024. Parallel zeigt die Galerie Sebastian Fath Contemporary (Werderstr. 38) bis 16. Dezember Arbeiten von Hoover.
- Öffnungszeiten Kunsthalle: Di, Do, Fr, Sa, So 10 bis 18 Uhr. Mi 10 bis 20 Uhr.
- Zu den drei Künstlerinnen ist je ein Einzelkatalog erschienen (17,50 Euro). Im Paket kosten die Kataloge 39,80 Euro.
Durch Motive verbunden
Nan Hoover, eine Pionierin der Licht- und Videokunst sowie der Performance, dürfte der überwiegende Teil des kunstinteressierten Publikums erst durch diese Ausstellung entdecken. Und was die Fotokünstlerin Anneliese Hager angeht, gilt dies wohl für einen noch größeren Personenkreis. Verdienstvoll ist die schlicht „Hoover Hager Lassnig“ betitelte Schau schon deshalb. Lohnend ist ein Besuch der gut 100 Arbeiten umfassenden Ausstellung in jedem Fall. Je für sich lassen sich hier künstlerische Arbeitsweisen betrachten; die Oeuvres werden entsprechend in drei Räumen nacheinander abgehandelt. Worauf man die meiste Aufmerksamkeit verwenden wird, hängt vom persönlichen Gusto ab, wobei die Beschäftigung mit Lassnig schon deshalb näher liegt, weil deren Bilder, vornehmlich Selbstporträts, dank einer großzügigen Hängung den meisten Raum beanspruchen. Ein wirkliches Gesamtbild ergibt sich hier naturgemäß nicht. Aber immer wieder lassen sich Querverbindungen zwischen den Künstlerinnen hinsichtlich der Motive und Fragestellungen ziehen.
Meditativ und stimmungsvoll wirken die Bilder Nan Hoovers. Den Bewegungen des Körpers im Wechselspiel von Licht und Schatten gehen sie nach, halten flüchtige Augenblicke fest und veranschaulichen so auch die Vergänglichkeit. Das gilt besonders für Hoovers bekanntere Werkphase, bei der sie ab 1973 die Videotechnik nutzt und abstrahierende Ansichten erzeugt. Zuvor war sie wesentlich konkreter.
Zunächst nur auf Papier mit Bleistift und später auch großformatiger in poppig-bunten Farben setzte sie menschliche Körper in Szene, bevorzugt beim Ausleben der Sexualität. Begegnungen zwischen Frauen und Männern gibt es hier ebenso wie gleichgeschlechtliche. Verbindendes Element ist jeweils die Überwindung von Grenzen in tranceartigen Zuständen und Ekstasen. Dass sich bei Hoover später in anderer Technik die Formen aufzulösen beginnen, scheint von daher konsequent.
Unaufdringlicher wirken dagegen die fotografischen Schwarzweiß-Arbeiten der Anneliese Hager. Zunächst nutzt sie Mehrfachbelichtungen, verzichtet dann auf eine Kamera und fertigt Fotogramme an, die allein durch Lichteinwirkung auf speziellem, mit diversen Fundstücken versehenem Papier entstehen. Gräser, Blüten, Folien, Selbstporträts werden auf dem lichtempfindlichen Papier drapiert und für längere Zeit abgedeckt. Die Ergebnisse wirken teils wie Landschaften, stimmungsvoll, verträumt, vergleichbar den späten Arbeiten Hoovers.
Auch hier ergeben sich Ansichten der Flüchtigkeit, wobei Hager ihr Zustandekommen mehr dem Zufall überlässt. In Hagers Werdegang spiegeln sich mehr als in ihrer Kunst die sozialen Umstände der Zeit. Der ungleich bekanntere K. O. Götz, ein Hauptvertreter des deutschen Informel, war ihr Ehemann. Hager kümmerte sich um den Haushalt und ihre fünf Kinder und beendete nicht zuletzt deshalb Mitte der 60er Jahre ihre künstlerische Arbeit.
Bilder spiegeln Rollenverständnis
Maria Lassnig malte dagegen, so lange es ihre Kräfte zuließen. Immer wieder spiegeln sich in ihren Bildern Rollenverständnisse, weswegen sie besonders in feministischen Kreisen Aufmerksamkeit erregte. Die oft fahlen Farben werden zum Bedeutungsträger. Das zeigt sich auch bei den Selbstbildnissen in der Kunsthallen-Schau. Wenn sich Lassnig verfremdet mit dem Körper eines Dackelhundes darstellt, ist wohl auch ein Gefühl der Benachteiligung ausgedrückt. Und wenn sie sich erneut mit tierischen Zügen in gebückter Haltung malt, denkt man an ein dressiertes Wesen und empfindet das ebenso als individuellen Ausdruck wie auch als Geschlechterbild.
In späteren Selbstporträts zeigt sich Lassnig märtyrerhaft von einem Spieß durchbohrt, in der Pose des mit einer riesigen Schlange ringenden Laokoon oder als Lastenträgerin im Stil des Riesen Atlas – und stets zugleich auch standhaft, kämpferisch. Immerzu wechselt sie zwischen Innen- und Außenperspektive, kombiniert Autobiographisches mit Allgemeingültigem. Mal wirken ihre Bilder bitter, dann heiter bis komisch. Es ist ein vielseitiges Werk, das Maria Lassnig geschaffen hat. Und auch das verbindet die hier auf sehenswerte Weise versammelten Künstlerinnen miteinander.
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