Tourismus

Vielbeschworene Hässlichkeit: Radtour durch Ludwigshafen

Von 
Dirk Timmermann
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Helmut van der Buchholz präsentiert den Teilnehmern die weniger attraktiven Seiten der Stadt. Auch der „Eingang zum Hemshof“ ist Geschmackssache. © Dirk Timmermann

Ludwigshafen. Stadtrundgänge führen normalerweise zu besonders sehenswerten Orten. Reizvolles soll präsentiert und dem Besucher ein möglichst positives Bild vermittelt werden. Nicht so bei Helmut van der Buchholz - und schon gar nicht in Ludwigshafen! Denn hier ist nichts normal, hier zelebriert man die gepflegte Hässlichkeit. „Germany’s Ugliest City Tours“ gehen mit dem Bildhauer und Stadtführer in ihre mittlerweile fünfte Saison.

Van der Buchholz eröffnet die Tour am Friedrich-Wilhelm-Wagner-Platz. © Dirk Timmermann

Namensgebend ist jene „Auszeichnung“, die die Chemiestadt 2018 erhalten hat. Das ARD-Satiremagazin Extra 3 kürte Ludwigshafen zur „hässlichsten Großstadt Deutschlands“ - vor Heilbronn und Gießen. Wo andere vor Scham erröten, ging die Stadt, die immerhin 178 000 Menschen eine Heimat nennen, den umgekehrten Weg. Die zweifelhafte Ehrung wurde zum Markenzeichen und machte den Preisträger erst richtig bekannt.

Das Spektrum ist breit

Dass sich in Ludwigshafen längst eine Menge zum Besseren entwickelt, gerade im südlichen Bereich, und dass man durchaus schöne Ecken zu bieten hat, wie das Stadtmarketing nicht müde wird zu betonen, interessierte 30 Neugierige aus Nah und Fern jedoch allenfalls am Rande. Sie waren zum Auftakt des diesjährigen Kultursommers zusammengekommen, um gemeinsam mit Helmut van der Buchholz per Rad Orte zu erkunden, die man gesehen haben sollte - oder lieber nicht. Der kollektive Wunsch nach Hässlichkeit wollte bedient werden.

Touren durch LU: Termine

  • Der „klassische Spaziergang findet am 30. Juni ab 16 Uhr statt. Am 04. Juli (18 Uhr) erleben Fußgänger besonders hübsche Plätze. Ludwigshafen als „Geisterstadt“ kann am 14. Juli (20 Uhr) erkundet werden.
  • Eine Tour „um LU herum“ richtet sich an Radfahrer am 24. Juli (11 Uhr). Am 23. Juni (19 Uhr) ist eine Tour rund um das Wilhelm-Hack-Museum geplant.
  • Die Touren sind kostenlos. Anmeldung: sophie.lauth@ludwigshafen.de, 0621-5042888.

 

Bereits der Startpunkt am Friedrich-Wilhelm-Wagner-Platz war alles andere als eine Augenweide und bot einen „Vorgeschmack“ auf das, was da noch kommen mochte. „Hier sehen Sie das neue Schmuckstück“, sagte der Tourguide mit direktem Blick auf das neue Hochhaus der Pfalzwerke - während gegenüber ein „Provisorium“ aus den 1960ern sein Dasein fristet. Nicht weit entfernt liegt es dann schon, das „große Ludwigshafener Loch“. So nennt van der Buchholz die Großbaustelle am Berliner Platz, die „seit sechseinhalb Jahren das Herz der Innenstadt bildet und uns sicher noch lange erhalten bleibt“ - eine Prognose, die stimmen könnte.

Nur wenige Hundert Meter weiter erwartete die radelnden „Katastrophentouristen“ ein erster „Lichtblick“: „Zumindest entflieht man hier dem Lärm“, lobte van der Buchholz die „beschaulichen Hinterhofpassagen“ in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bürgerhof. Das Straßentheaterfestival sei eine willkomme Abwechslung, doch „leider findet an den meisten Tagen im Jahr kein Straßentheater statt“.

Was Hässlichkeit in Ludwigshafen ausmacht, erklärte der Profi den Teilnehmern so: Das Spektrum sei breit und reiche von „echt nicht schön“ über „funktioniert nicht“ bis „war mal gut gemeint, ist halt anders gekommen“. Einen klassischen Fall von „Was soll das?“ - die schlimmste Form - erlebten die Mitfahrer dann hinter der Rheingalerie. Der Grünstreifen neben der Hochstraße war einst „zum Lustwandeln nach dem Einkaufsbummel gedacht“ - inzwischen hat sich die Natur die Tische und Sitzgelegenheiten zurückgeholt. „Auch diese Peripherie wird von einem Wandel bestimmt sein“, äußerte van der Buchholz dennoch eine vage Hoffnung.

Ludwigshafen

Radtour zu den hässlichen Orten der Stadt

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Warum Ludwigshafen wohl nicht so schnell als Perle der Pfalz bezeichnet werden wird, verriet auch der „Eingang zum Hemshof“. „Von dieser Großstruktur sagen die wenigsten, sie sei etwas Hübsches“, lautete die Einordnung des bildenden Künstlers, der aber die Funktion des Wohnblocks als „Lärmschutzwand“ zu würdigen wusste: „Der Lärm von 20 000 Autos täglich muss irgendwie abgefangen werden.“ Inwiefern städtebauliche Sünden in der größten Stadt der Pfalz stilbildend sind, erläuterte der Stadtführer an einem weiteren Gebäudekomplex. „Dieses moderne Etwas sollte die Altbauten ersetzen“, zeigte sich van der Buchholz erschüttert. Zum Glück habe sich diese Form von Wohnbebauung im Hemshof nicht durchsetzen können, so dass der Charakter als „Altstadt“ erhalten blieb. Damit wurde zumindest an dieser Stelle noch Schlimmeres verhindert - wenngleich die Teilnehmer eine Rundfahrt erlebten, die sie ob der gewonnenen Eindrücke so schnell wohl nicht vergessen werden.

Im Auge des Betrachters

Das Ziel, Ludwigshafen von seiner schlechtesten Seite zu präsentieren, hat Helmut van der Buchholz zweifellos erreicht. Dass die Liste unansehnlicher Plätze schnell zu erweitern wäre, dürfte den Einheimischen bekannt sein - ebenso wie die Tatsache, dass die Stadt an vielen Stellen besser ist als ihr Ruf. Unabhängig davon war man sich am Ende einig: Schönheit - in diesem Fall eher das Gegenteil - liegt immer auch im Auge des Betrachters. Wer Lust verspürt, unter fachkundiger Begleitung selbst einmal Anschauungsunterricht zu nehmen, hat diesen Sommer noch fünfmal die Gelegenheit. Ein Teil der Touren erfolgt dabei zu Fuß. Unterdessen hat die vielbeschworene Hässlichkeit der Industriestadt sogar eine internationale Dimension erreicht: Im Ranking der weltweit unattraktivsten Städte 2021 schaffte es Ludwigshafen bei einem Reiseportal auf Platz 11 - hinter Amman, aber immerhin vor London.

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