Bundespräsident

Schloss Bellevue - ein Amtssitz so unprätentiös wie das Land

An diesem Sonntag wird der neue Bundespräsident gewählt. Amtssitz des Staatsoberhauptes ist das Schloss Bellevue in Berlin. In seinem Aussehen und seiner Geschichte ist das Bauwerk charakteristisch für die Bundesrepublik.

Von 
Konstantin Groß
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Schloss Bellevue in Berlin, seit 1994 erster Amtssitz des Bundespräsidenten, erbaut 1785/86 im Stile eines„milden Klassizismus“. Auf dem Dach flattert die Standarte. © Konstantin Groß

Was haben andere Staatsoberhäupter für Residenzen: den Kreml oder Buckingham Palace, das Weiße Haus oder den Elysée-Palast. Wer diese gesehen hat, in Realität oder im Fernsehen, der ist überrascht, ja enttäuscht, wenn er Schloss Bellevue in Berlin betritt, Amtssitz des Bundespräsidenten. Aber damit entspricht die Residenz des Staatsoberhauptes, das an diesem Sonntag neu gewählt wird, nur unserem Land – eher unprätentiös und mit Geschichte voller Brüchen.

Diese beginnt hier 1785. Ferdinand von Preußen, jüngster Bruder des großen Friedrich, sucht eine Bleibe, mit der er sowohl seinem König nahe als auch in ländlicher Idylle leben kann. Bei Jagdgesellschaften im Tiergarten stößt er auf das beschauliche Grundstück an der Spree.

Dem Bauwerk im Stile eines milden Klassizismus verleiht er wie damals üblich – man denke an „Sans souci“ – einen französischen Namen: „Belle vue“, schöne Aussicht, unter Anspielung auf den freien Blick ins Weite, der erst 1880 durch eine Stadtbahnbrücke verstellt wird. Der von Baumeister Langhals gestaltete Ballsaal, heute der einzig authentische Raum im Schloss, wird einmal wöchentlich Schauplatz großer Festivitäten der Hofgesellschaft.

Ort von Staatsbanketten, Ernennungen und Entlassungen: der Große Saal. © Konstantin Groß

1844 für das Volk geöffnet

König Friedrich Wilhelm IV. richtet 1844 hier das erste Museum für zeitgenössische Kunst ein, den Vorgänger der Nationalgalerie. Unter anderem Caspar David Friedrichs berühmte „Abtei im Eichwald“ von 1810 hängt hier. Das Besondere: Das Bürgertum hat Zugang. Im brodelnden Vormärz soll dem Volke ein Stück gesellschaftlicher Teilhabe ermöglicht werden. Es wird nicht reichen: Im März 1848 kommt es auch in Preußen zur Revolution, 200 Soldaten werden im Schloss einquartiert, um den Bau zu schützen.

Doch die Revolution scheitert, die Monarchie sitzt bald fester im Sattel denn je, ab 1888 mit Wilhelm II. Der lässt in Bellevue seinen Kindern Privatunterricht erteilen. Im Ersten Weltkrieg ist das Schloss Lagezentrum der Heeresleitung. Hier ist es, wo ihr Chef, General Ludendorff, im Angesicht der Niederlage am 26. Oktober 1918 entlassen wird.

Doch das hilft nicht, Wilhelm verliert den Thron. Er lässt 53 Eisenbahn-Waggons voller Inventar ins holländische Exil kommen. Noch heute stehen auf dem Dachboden von Haus Doorn Kisten mit Aufschriften wie „Schloss Bellevue, Zimmer 34.“ Viele lässt Wilhelm gar nicht erst auspacken, denn noch hofft er ja auf Rückkehr nach Berlin.

Bellevue ist derweil ausgeräumt, steht leer, verfällt in einen Dornröschenschlaf. Mitte der 1920er Jahre vermietet der klamme preußische Staat das Schloss an einen seiner höchsten Beamten: Adolf von Heusinger. Der heutige Park ist damals ein Gemüsegarten, in dem Salat, Bohnen und Mohrrüben angebaut werden.

Als die Nazis 1933 die Macht ergreifen, wird das abgelegene Bauwerk anfangs Zufluchtsort für Verfolgte. Im Seitenbau wohnt zunächst der jüdische Regisseur Max Reinhardt, nach dessen Flucht der Bankier Paul Mendelssohn-Bartholdy; er stirbt 1935 an Herzversagen, von SS-Männern zusammengeschlagen.

Im gleichen Jahr richten die Nazis im Mitteltrakt ein „Museum für Volkskunde“ ein, getränkt von Blut- und Boden-Ideologie. Ein Anbau im Garten wird zur Dienstwohnung des Intendanten der preußischen Staatstheater, Gustaf Gründgens. Dank Vermittlung von Hitlers Paladin Hermann Göring wohnt der Theaterstar hier mit seiner Frau, der Schauspielerin Marianne Hoppe.

Was im Schloss Bellevue so geschieht

  • Amtszimmer: In seinem Arbeitszimmer hat der Bundespräsident einen Blick auf den Park. Neben seinem Schreibtisch steht auf einem Sockel die von Georg Kolbe 1925 geschaffene Bronzebüste des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert.
  • Großer Saal: Ort aller wichtigen Ereignisse. Hier erhielten 2021 Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Entlassungs- und Nachfolger Olaf Scholz seine Ernennungsurkunde.
  • Staatsbankett: Daran nehmen hier etwa 150 Gäste teil. Paare werden auseinandergesetzt, um das Entstehen von Gesprächen zu erleichtern. Die Gäste benutzen silbernes Be-steck mit eingraviertem Bundesadler und trinken deutschen Schaumwein; Champagner ist verpönt.
  • Zeremoniell: Das aus Soldaten von Heer, Marine und Luftwaffe bestehende Wachbataillon stellt sich im Park in einer exakt 80 Meter langen Reihe auf. Dabei tragen die Soldaten den alten Karabiner 98 K – aus Sicherheitsgründen bleibt das Magazin aber leer. Der Bundespräsident und sein Gast hören auf einem roten Podest stehend die vom Stabsmusikkorps intonierten Nationalhymnen des Gastes und das Deutschlandlied. Danach schreiten sie zu den Klängen des „Preußischen Präsentiermarsches“ die Ehrenformation ab.
  • Bürgerfest: Einmal im Jahr, Ende August oder Anfang September, steigt das zweitägige Bürgerfest in Anwesenheit des Bundespräsidenten. Jeweils freitags sind verdiente Ehrenamtliche eingeladen, am Tag darauf können alle Bürger ohne Einladung/Voranmeldung das Schloss besichtigen und im Park feiern. Termin 2022 steht noch nicht fest. -tin

 

Das Haupthaus wird 1938 Gästehaus der Reichsregierung und dafür aufgemöbelt: Samt-Tapeten, feine Hölzer, Kunstwerke. Prinzregent Paul von Jugoslawien und seine Gemahlin sind im Januar 1939 die ersten, die hier untergebracht werden.

Im November 1940 ist Stalins Außenminister Molotow zu Gast, als es zu einem Luftangriff auf Berlin kommt. Damit wird die Frage der Sicherheit der Staatsgäste offensichtlich. Hitler befiehlt den Bau eines Bunkers für das Bellevue, der bereits im Dezember 1940 beginnt: Ein Labyrinth aus 350 Quadratmetern, die Decke zum darüber liegenden Keller 2,50 Meter dick, Panzertüren, Gänge im 90-Grad-Winkel, die die Wucht der Detonationen abfedern. Der Bunker ist noch erhalten, aber ohne Licht, mit Wasser am Boden, ungenutzt, nicht einmal zu besichtigen.

Doch dem Bunker zum Trotz ist das Gästehaus bald unbenutzbar: In einer Aprilnacht 1941 fallen Bomben, das Schloss wird teilweise zerstört. Nach dem Krieg werden Flüchtlinge und Ausgebombte hier untergebracht. Wochenschaubilder von damals zeigen, wie sie ihre Wäsche aufhängen, wo heute Staatsgäste empfangen werden.

Für die DDR eine „Provokation“

Das Bellevue hat Glück, dass es im britischen Sektor Berlins liegt und nicht im Osten; sonst würde es wohl wie das Berliner Stadtschloss abgerissen werden. So wird es, mit Ausnahme des Anbaus der Nazis, ab 1955 wieder aufgebaut und im Stil der Zeit eingerichtet, der schon damals Kritik hervorruft. An ein „Filmstar-Sanatorium“ fühlt sich ein Architekturkritiker erinnert. Theodor Heuss nimmt die Schlüssel für das renovierte Schloss entgegen (das ihm selbst allerdings fremd bleibt).

Denn 1957 beschließt der Bundestag, hier den zweiten Amts- und Wohnsitz des Bundespräsidenten einzurichten. Den zweiten deshalb, weil der eigentliche in Bonn liegt, in der Villa Hammerschmidt. Die Entscheidung für Bellevue, wenige hundert Meter entfernt vom Ostteil Berlins, der DDR, dem ganzen Ostblock, trägt eine hochpolitische Botschaft: Wir geben unseren Anspruch auf die Einheit Deutschlands nicht auf.

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Den Berlinern zeigt sie, gerade nach dem Mauerbau 1961: Wir vergessen Euch nicht! Jeder der Besuche des 1959 gewählten Bundespräsidenten Heinrich Lübke sorgt für große Aufmerksamkeit, der Regierende Bürgermeister Willy Brandt kommt eigens auf den Flughafen.

Diese Gesten werden verstanden, in West-Berlin und auch im Osten. Im DDR-Fernsehen schimpft dessen Chef-Ideologie Karl-Eduard von Schnitzler über diese „Provokation mitten in der DDR“ und ruft dem Bundespräsidenten medial zu: „Wie kommen Sie dazu, außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik einen Amtssitz zu unterhalten?“

Lübkes Nachfolger, der 1969 ins Amt gekommene Sozialdemokrat Gustav Heinemann, nicht ohne Grund als Bürgerpräsident bezeichnet, lädt erstmals zu Sommerfesten ins Bellvue ein, denen die Berliner Schnauze den Spitznamen „Justavs Jartenfete“ verpasst. 2000 geladene Gäste tummeln sich hier bei Bratwurst, Bier und Schnaps. „Es war ein Rummel, da musste man hin, das gehörte sich“, erinnert sich Egon Bahr, ein enger Weggefährte von Bundeskanzler Willy Brandt, später einmal: „Aber ich hab‘ das immer als Zeitverschwendung betrachtet.“

Das „Allerheiligste“ in Bellevue: das Arbeitszimmer des Bundespräsidenten. © Konstantin Groß

Weizsäckers Entscheidung

Die politischen Umbrüche von 1989 bedeuten auch für das Bellevue einen Neuanfang. Nach der Einheit 1990 tobt die Diskussion, ob die Staatsorgane in Bonn bleiben oder wie 40 Jahre versprochen nach Berlin ziehen sollen. Der Bundespräsident kann eigenständig entscheiden, wo sein Sitz sein soll. Wenige Wochen vor Ende seiner zehnjährigen Amtszeit entscheidet Richard von Weizsäcker 1994, dass dies Berlin sein soll. Nun wird Bonn Zweitsitz. „Weizsäcker hat einen entscheidenden Platz in der Geschichte des Bellevue“, sagt Egon Bahr.

Doch das Haus ist dafür nicht eingerichtet. Oft fällt der Strom aus, Wasser läuft nicht, es gibt keine Klima-Anlage. Weizsäckers Nachfolger Roman Herzog bezeichnet seinen neuen Sitz denn auch als „Bruchbude“. 2004 wird das Haus saniert. Johannes Rau entscheidet, die bescheidene Dienstwohnung (drei Zimmer, Küche, Bad) in Büros umzuwidmen. Wohnsitz des Bundespräsidenten ist fortan eine Villa im vornehmen Berliner Bezirk Dahlem.

Längst hat sich das Haus auch für die breite Öffentlichkeit geöffnet. Jeweils einmal im Jahr, Ende August/Anfang September, haben Bürger Gelegenheit, ohne Einladung oder Voranmeldung das Schloss zu besichtigen und im Garten zu feiern – 2019 sind es 18 000 Menschen. Neuauflage: Sobald Corona vorbei ist.

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