Spitze Schreie, vergnügtes Jauchzen, begeistertes Kreischen erfüllen die Luft rund um jenes Becken, in das kleine Bootchen auf Rädern über eine sehr schräge, ständig nass gehaltene Bahn rasant hinabrollen. Wasser spritzt auf, und manchmal gibt es entsetzte Rufe der jungen Herren, die bei der Abfahrt durch den Luftzug ihren sommerlichen Strohhut („Kreissäge“ genannt) verloren haben. So erinnern sich viele frühere Generationen an die Wasserrutschbahn, ein Höhepunkt der Internationalen Kunst- und Großen Gartenbauausstellung 1907 – so wie viele später geborene Kinder und Jugendliche die blauen Hüpfbälle („Babbelblast“ der Bundesgartenschau 1975 nie vergessen werden.
„Eine außergewöhnliche Tat“ sollte diese Großveranstaltung 1907 sein, heißt es im Katalog. Die Stadt wird 300 Jahre alt und will das groß feiern. Sie ist „in einer Periode kraftvollen Aufschwungs“, so Oberbürgermeister Otto Beck. Gerade hat Mannheim mit Käfertal und Neckarau erste Eingemeindungen vollzogen. Große Fabriken sind entstanden. Die Stadt gründet die Städtische Handelshochschule (ab 1967 Universität), nimmt den Industriehafen in Betrieb, baut die Kurfürst-Friedrich-Schule in C 6. Der Wasserturm ist bereits 1889, der Rosengarten 1903 fertiggestellt worden – aber das Areal westlich davon überwiegend unbebaut, nur durch sogenannte Pachtgärten (also von der Stadt verpachtete Kleingärten) genutzt. Langfristig soll dieses Areal als östliche Stadterweiterung bebaut werden, aber noch ist alles frei.
Im Ehrenamt organisiert
35 Hektar umfasst das Areal der Internationalen Kunst- und Großen Gartenbauausstellung – also fast so viel wie der heute eintrittspflichtige Teil vom Luisenpark (42 Hektar). Hier soll „der Schönheit eine Heimat geschaffen“ werden, der Schönheit der Natur „innig gepaart mit angewandter Schönheit von Menschen Hand“, also der Kunst, wie es im Katalog heißt. Die Stadt will sich von ihrer besten Seite zeigen, das Bürgertum seinen ganzen Stolz präsentieren – und sich auch engagieren.
Wie groß der Idealismus ist, zeigt das Organisationsstatut. Danach sind alle Funktionen im Ausstellungsvorstand, der zwei Jahre lang die Vorbereitung koordiniert, und in den Fachausschüssen „ehrenamtlich zu besorgen“. Die Organisation obliegt, weil sie „nicht in die Geschäftsordnung der Städteordnung eingepasst werden kann“, wie es in einer offiziellen Vorlage heißt, nicht der Stadt selbst, sondern einer eigens gegründeten Gesellschaft – heute bei Bundesgartenschauen üblich, damals eine Besonderheit. Bankier Karl Ladenburg, Unternehmer Carl Reiß, Wasserturm-Architekt Oskar Smreker und weitere Unternehmer werden für den Ausstellungsvorstand gewonnen, Bürgermeister Robert Ritter als Vorsitzender.
Regent in Uniform
Ritter hat am 1. Mai, bei der Eröffnung, seinen großen Tag. Es gibt einen Film davon – das älteste Bewegtbild-Dokument der Stadt. Erbgroßherzog Friedrich II. von Baden kommt mit seiner Frau Hilda zur Eröffnung der Jubiläumsschau nach Mannheim, in Uniform mit Pickelhaube. Ritter, Oberbürgermeister Beck und weitere Herren tragen Frack und Zylinder – den sie flink und ehrerbietig vor dem Regenten ziehen. Bürgermeister Ritter eilt mit seiner Königlichen Hoheit (so die Anrede) voraus, zeigt ihm das Gelände. Man sieht, wie die Wasserspiele rauschen, eine Blaskapelle spielt und sich mehrere Herren vor dem Großherzog verneigen. Zu sehen ist ebenso die Terrasse des Hauptrestaurants am Wasserturm, kurz die Ausstellungshalle der Sunlicht-Seifenfabrik.
Als Tochtergesellschaft der britischen „Lever Brothers Ltd.“ wird die „Sunlight Seifenfabrik“ 1899 in Rheinau gegründet. Das, was in dem Werk vor sich geht, will man auch bei der großen Ausstellung präsentieren – und baut daher eigens eine Fabrikation in klein nach. Das Besondere daran ist, dass die „Sunlight Soap“ nicht, wie damals üblich, in großen Blöcken fabriziert und dann Stück für Stück abgebrochen, sondern am Fließband hergestellt und einzeln hübsch verpackt wird. Mit einer Jahresproduktion von 40 000 Tonnen ist Sunlicht 1907 die größte Seifensiederei Europas – und daher auch bei der Ausstellung mit Stolz dabei.
Wasserturm beleuchtet
Es gibt nämlich ein „Gewerblich-technische Abteilung“ dieser Ausstellung, die eigene Bauten von Sunlicht und der Firma Lanz umfasst sowie unzählige weitere Beiträge. Da geht es um Rasenmäher, „Maschinen zu Bearbeitung von Obst- und Beerenweinen“ werden angepriesen, Gummischuhe angeboten und Armaturen. Man stößt auf bekannte Namen, etwa Pfaff Kaiserslautern mit „Nähmaschinen für Blumenstickerei“, das Strebelwerk mit Gewächshausheizungen oder AEG, die auch 500 Glühlampen zu je 60 Watt aufgeboten haben, um den Wasserturm festlich zu illuminieren. Der Wasserturm ist das westliche Ende der Ausstellung, aber frei zugänglich. Den eigentlichen Eingang markiert ein eigenes Torgebäude am Beginn der mit vier Reihen Platanen gesäumten Augustaanlage – zwischen den beiden heute noch bestehenden Wohn- und Geschäftshäusern der Arkaden und auch von deren Architekten Bruno Schmitz entworfen. Es hat die Form eines Triumphbogens, enthält zwei Gewölbesäle für Kunst und „Nutzräume“, wie man damals sagt. Seine Architektur ist umstritten, und nach der Ausstellung verschwindet der Bau auch gleich wieder. Die anderen Ausstellungsbauten, die sich etwa bis in Höhe der heutigen Bachstraße erstrecken, werden in der Fachzeitschrift „Bauzeitung“ als „monumental“ beschrieben und es ist von einer „imposanten Wirkung“ die Rede.
Aber kaum etwas davon ist von Dauer. Nur das in Höhe der Werderstraße errichtete temporäre Palmenhaus mit seiner beeindruckenden Höhe von 30 Metern und der Größe von 750 Quadratmetern erweist sich als derart beliebt, dass die Stadt beschließt, ein festes Palmenhaus zu errichten – am östliche Ende des Luisenparks neben der Stadtgärtnerei. Und die Ausstellungshalle für die Kunstausstellungen lebt ab 1909 als Städtische Kunsthalle weiter.
Errichtet hat sie der Karlsruher Architekt Hermann Billing, der auch zwei große Beete geschaffen hat. Denn an die sogenannten „Sondergärten“ werden sehr hohe Maßstäbe angelegt. Die Ausstellungsmacher erwarten nicht einfach Gärten mit ein paar Blumen, sondern vielmehr kunstvolle Gartenarchitekturen, weshalb auch seinerzeit bekannte Namen von Landschaftsplanern unter den Schöpfern der äußerst aufwendigen Entwürfe zu finden sind.
Da gibt es einen Garten mit Pavillon, Teich, Wasserfall und Brücken, ebenso ein Garten mit japanischen Motiven, ein Naturtheater, ein Badhaus mit Sommerbad, einen römische Garten, orientalisch anmutende Entwürfe, eine Schwarzwaldanlage – alles üppig bepflanzt und opulent gestaltet. Auf riesigen Beeten blühen Rosen, Koniferen, Stauden sowie Alpen- und Topfpflanzen um die Wette, werden aber auch Wasserpflanzen, Obstbäume und Sträucher gezeigt. Dazwischen sind stets Kunstwerke platziert.
Königin der Blumen
Passend zur Blumenpracht tagen im Jahr 1907 fast alle Fachleute der Zunft in Mannheim, die Deutsche Kakteengesellschaft ebenso wie der Landesverband der Bienenzüchter, der Pomologenverein, der Verein der Rosenfreunde oder die Vertretung der Blumengeschäftsinhaber. Wenn der Rosengarten nicht dafür belegt ist, blüht es auch dort: Orchideenausstellungen, Neuheiten von Züchtern aus dem In- und Ausland, Rosen, Obst oder „Die Kunst des Blumenbindens“ werden in den Räumen gezeigt. Ein eigenes – temporäres – Gebäude ist der „Wissenschaftlichen Abteilung“ der Ausstellung gewidmet. Hier sind die Universitäten Heidelberg und Karlsruhe präsent, die Demonstrationsobjekte aus ihrer Lehrsammlung vorführen. Es gibt Blütenmodelle, botanisch-physikalische Apparate, Mikroskope und botanische Wandtafeln zu sehen sowie Fachliteratur zu kaufen.
Geschichtliches auf der Buga 23
Ausstellungen: Mit der Ausstellung „Eine Stadt verändert ein Fest – Mannheimer Gartenschauen 1907, 1975 und 2023“ erinnert das Marchivum in einer Halle im Pflanzenschauhaus im Luisenpark an 1907. Auch der Film mit dem Großherzog wird da gezeigt. Auf Spinelli nimmt in der U-Halle der Beitrag der Staatlichen Schlösser und Gärten Bezug auf die Ausstellung von 1907.
Vorträge: Der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur erinnert am 20. Mai und 17. Juni, jeweils 14.30 Uhr mit einem Vortrag auf Spinelli, Campus Lernort, an die Ausstellung 1907. Teilnahme für Buga-Besucher kostenlos. pwr
Die gesamte Anlage geht auf den bekannten Professor Max Läuger aus Karlsruhe zurück, der 1933 auch das Benz-Denkmal schuf. Er plant die 320 Meter lange Ausstellungshalle, das Palmenhaus und den Pavillon für die „Wissenschaftliche Abteilung“. Auch eine der Gartenanlagen entwirft er, darunter das eigens besonders geheizte Gewächshaus, in dem die Victoria Regia blüht – die viel bestaunte Königin der Blumen.
Die Ausstellung will aber „nicht nur auf Geist und Gemüt wirken“, sondern den Besuchern auch „Behagen, Zerstreuung und Amüsement“ bieten, wie die Ausstellungsleitung in ihrer Ankündigung hervorhebt. Dazu dienen etwa zahlreiche Gastronomiebetriebe. Das Hauptrestaurant umgibt den Wasserturm. Mit der österreichischen Weinhalle „Zur lustigen Witwe“ oder dem Sektrestaurant „Zum süßen Mädel“ tragen einige Betriebe Namen, die es heute sicher nicht mehr geben dürfte. Dazu kommen eine Weinstube, ein Ausschank der Staatsbrauerei Rothaus, Waffelbäckerei, Zuckerwaren-Pavillon, Spießbraterei, Milchausschank und eine Arbeiterkantine, nicht zu vergessen natürlich die damals schon für Mannheim üblichen Brezelstände und Bratwurstbuden.
Schwarzwaldschenke und „Zillertal“ erweisen sich als die besten Umsatzbringer. Sie liegen am Vergnügungspark, der sich ganz im Osten des Ausstellungsgeländes befindet, wo das älteste Haus des Guttachtals nachempfunden wird und eine „Burg Zähringen“ dem Herrscherhaus Reverenz erweist. Kasperle- und Marionettentheater, Schießbude, Rodelbahn, Wahrsager, Kinematographentheater, ein Panorama und schließlich die weithin sichtbare Wasserrutschbahn bilden den Vergnügungspark, der sich etwa bis zur heutigen Weberstraße erstreckt.
Eine Sensation und in Zeiten des Kolonialismus völlig üblich, jedoch heute als rassistisch geltend: das Dorf der Abessinier. Ein ganzer Stamm – 80 Menschen, darunter 20 Frauen und Kinder – der „bronzebraunen Menschen“, wie es damals heißt, lassen sich beim Leben in ihren Strohhütten bestaunen. Zeitzeugen schildern, „wenn die Äthiopier wild ihre Augen rollten und mit angriffslustigem Kriegsgeschrei ihre Speere mit dem blitzenden Blatt aus Stahl schwangen.“ Sie zeigen (und verkaufen) Kunsthandwerk, es gibt Tanz- und Kampf-Vorführungen, eine Geburt und eine Hochzeit.
Ganz am Ende des Vergnügungsparks, in Höhe der heutigen Weberstraße, ist ein Fesselballon verankert, in den man einsteigen und das Fest von oben bestaunen kann. Das Wetter ist schließlich meist gut – von 173 Ausstellungstagen werden in der Chronik 105 als „heiter“ vermerkt, 40 als bedeckt und nur 28 mit Regen.
Überschuss erzielt
Entsprechend strömen die Besucher: 4,6 Millionen werden bis 20. Oktober gezählt – mehr als das 27-fache der damaligen Einwohnerzahl der Stadt. Der „glänzende Verlauf“, so resümiert 1909 der Ausstellungsvorstand, habe „Mannheims Namen einen ehrenvollen Klang verschafft“. 62 697 Dauerkarten werden verkauft, die Bilanz weist Einnahmen und Ausgaben von knapp 4,5 Millionen Mark aus.
Trotz hoher Ausgaben – allein der spektakuläre Auftritt der international berühmten Barfuß- und Schleiertänzerin Isadora Duncan kostet 12 000 Mark Honorar, ein Rosenfest im Rosengarten 30 000 Mark – muss der von Handel und Industrie zur Verfügung gestellte Garantiefonds nicht angezapft werden. Es bleibt sogar ein unerwarteter Überschuss. Allerdings scheitert der Vorstoß von Oberbürgermeister Beck, einen Teil des Gewinns – 10 000 Mark – als Fonds für das Stadtjubiläum 2007 zurückzulegen und zu verzinsen. Der Bürgerausschuss lehnt die Idee aber rundheraus ab – wenn die Nachkommen in 100 Jahren feiern wollen, so heißt es, sollen sie das auch selbst bezahlen. Wegen der Inflation und mehreren Währungsreformen wäre von dem Geld ohnehin nicht viel übrig geblieben . . .
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