Der Friedensfürst

Vor 300 Jahren ist Kurfürst Carl Theodor geboren worden. Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend sowie die Mannheim prägende Epoche seiner Regentschaft

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Peter W. Ragge
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Kurfürst Carl Theodor, Porträtgemälde von Felix Anton Besoldt von 1753 mit Kurhut. © Reiss-Engelhorn-Museen

Die Verwirrung bleibt groß – bis heute. Ist es der 10. oder der 11. Dezember 1724? Beide Daten werden in Biografien oder dem Internet immer noch als Geburtsdatum von Carl Theodor angegeben. Dabei ist die Antwort einfach. „Er wurde am 10. Dezember getauft, da kann er nicht erst am 11. Dezember geboren sein“, sagt Ralf Wagner, Konservator der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg und dort zuständig für das Carl-Theodor-Jahr. Er hat nämlich eine Reise gemacht und damit den Beweis erbracht.

Das Ziel: Drogenbos, eine kleine flämische Gemeinde mit knapp 6000 Einwohnern in Belgien. Maria Henrietta, die verwitwete Herzogin von Arenberg, erwirbt dort 1717 ein Anwesen und lässt zusätzlich zu ihrem Brüsseler Stadtpalais einen Landsitz errichten – der schon lange nicht mehr existiert. Es ist das Geburtshaus von Carl Theodor.

Veranstaltungen zum Carl-Theodor-Jahr

Reiss-Engelhorn-Museen: Ausstellung „Ein Kurfürst auf Zukunftskurs“, Zeughaus C 5, 68169 Mannheim, bis 25. Mai 2025, Di bis So 10 bis 17 Uhr, Eintritt Erwachsene 5 Euro, Begünstigte drei Euro, Kinder und Jugendliche frei.

Marchivum: Ausstellung „Carl Theodors Mannheim“, Marchivum, Ochsenpferchbunker, Archivplatz 1, 68169 Mannheim, bis 26. Januar 2025, Di, Do bis So 10 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei.

Nationaltheater: Festkonzert „Ein Tusch für Carl Theodor“, Dienstag, 10. Dezember, 19.30 Uhr, Opal (Oper am Luisenpark), mit Nationaltheater, Kurpfälzischem Kammerorchester, Musikhochschule, Musikschule und Popakademie, Ticket-Einheitspreis 5 Euro, Kartentelefon 0621/ 1680 150 oder E-Mail nationaltheater.kasse@mannheim.de.

Jesuitenkirche: Festliche Eucharistiefeier zum 300. Geburtstag von Kurfürst Carl-Theodor am So., 15. Dezember, 10 Uhr, mit Dekan Karl Jung, Missa Tempore Adventus et Quadragesimae von Michael Haydn. Es singt der Chor der Jesuitenkirche.

Karl-Wörn-Haus Schwetzingen: Sonderausstellung „CabinetT 1724 – 2024“ zu Ehren Kurfürst Carl Theodors, Marstallstraße 51, 68723 Schwetzingen, bis 6. Januar 2025 samstags und sonntags und an Feiertagen von 14 Uhr bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Marstallhof Schwetzingen: Feier des 300. Geburtstags von Carl Theodor – ein Abend mit kulturellen Highlights, historischen Inszenierungen und genussvollen Erlebnissen, dem Kurfürstenpaar und dem Perkeo-Fanfarenzug am Dienstag, 10. Dezember, 17 Uhr; Carl-Theodor-Straße 8, 68723 Schwetzingen. Eintritt frei

Schloss Mannheim: Sonderführung Sonntag, 8. Dezember, 14.30 Uhr „Fürstliche Tafelfreuden“ (inklusive Kaffee und Torte), Sonntag, 15. Dezember, 14.30 Uhr „Ein Fürst mit Sinn für Musik“

Schloss Schwetzingen: Sonderführungen Sonntag, 8. Dezember, 14 Uhr, „Carl Theodor und die Frauen in seinem Leben“. pwr

Um den genauen Termin herauszufinden, sind Wagner und die lange in der Region und jetzt in Kiel tätige Geschichtsprofessorin Susan Richter 1999 nach Brüssel und Drogenbos gefahren. Einblicke in Abschriften aus dem Taufregister nennen sie als einen Beleg dafür, dass der spätere Kurfürst am 10. Dezember das Licht der Welt erblickt hat. Danach ist „der legitime und noch namenlose Sohn Ihrer Durchlaucht, Prinz Christian von Sulzbach etc. und Ihrer Durchlaucht, Prinzessin Henriette d’Auvergne, ohne Feierlichkeiten getauft worden“, wie es dort heißt.

Mehrere Belege für das Geburtsdatum

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Es gibt sogar noch einen zweiten Eintrag. „Im Jahre unseren Herrn Jesus Christus hat am 10. Dezember im Schloss Drogenbosch Seine Durchlaucht, der Prinz, das Licht der Welt erblickt und ist mittels des sehr ehrwürdigen Herrn de Steenhault, dem Abt von Cambron (...) mit Wissen des Ortspfarrers und ohne Festlegung des Namens sowie ohne Hinzuziehung von Taufpaten getauft worden“. Vermerkt wird zudem, dass es sich um den erstgeborenen Sohn der Eltern handelt und dass unter anderem Maria Henrietta, seine Urgroßmutter, den kleinen Prinzen über das Taufbecken gehalten hat.

Nur der Ort der Taufe bleibt offen – ob sie in der örtlichen Kapelle stattfindet oder das Schloss über eine Hauskapelle verfügt. Dass die offizielle Namensgebung erst später, im Kleinkindalter, erfolge, sei indes „keinesfalls unüblich“, so Wagner, ebenso wie die Abwesenheit der Taufpaten. Selbst der Vater wird im Taufeintrag nicht aufgeführt; Wagner nimmt an, dass nur die Mutter zugegen ist. Wann genau Carl Theodor seinen Namen bekommen hat, bleibt indes offen.

Dafür gibt es für Carl Theodors Geburtsdatum einen zweiten Beleg: den „Churpfälzischen Hof- und Staatskalender“, der zwischen 1748 und 1768 immer wieder den 10. Dezember nennt für „grosse Galla by Hof wegen Sr. Churfürstlichen Durchleucht unseren Gnädigsten Landes- und Fürsten und Herrn hohen Geburts-Tag“, der „mit gleicher Feyerlichkeit“ wie der Namenstag am 4. November begangen werde. Unklar ist, warum irgendwann ab dem 19. Jahrhundert in Biografien plötzlich der 11. Dezember auftaucht, und das teils bis heute selbst bei renommierten Autoren.

Carl Theodors Eltern sterben früh. Seine Mutter Maria Anna Henriette Leopoldine de La Tour d’Auvergne, Markgräfin von Bergen op Zoom, ist bei der Geburt des Sohnes erst 16 Jahre alt. Vier Jahre später zieht sie sich bei der Geburt ihrer – dann nur wenige Wochen lebenden – Tochter im Wochenbett eine Infektion zu und übersteht sie nicht. Sein Vater Johann Christian von Pfalz-Sulzbach leidet an Wassersucht und erliegt ihr 1733 mit 33 Jahren. Mit neun Jahren wird der oft als hübscher, aber zarter Knabe beschriebene Carl Theodor also Vollwaise, erbt so jedoch zugleich die Titel Pfalzgraf und Herzog von Pfalz-Sulzbach.

Aber schon seit dem Tod der Mutter zieht ihn überwiegend seine Urgroßmutter auf. Da wird Französisch gesprochen. Damit er auch Deutsch lernt, wird von Mannheim zunächst ein Page nach Dogenbosch geschickt, mit der weiteren Erziehung werden Jesuitenpater beauftragt – vor allem Franz Seedorf, der erst sein Erzieher wird und Jahrzehnte später noch als Beichtvater und enger Berater fungiert. Das alles veranlasst Kurfürst Carl Philipp, der seit 1720 in Mannheim residiert und hier das Schloss bauen lässt. Er hat nämlich keine direkten männlichen Nachkommen, weshalb klar ist: Das Erbe läuft auf Carl Theodor hinaus, den nächsten Verwandten.

Die Hochzeit soll die Macht der Dynastie sichern

Mit Carl Theodors Vater verabredet Carl Philipp daher noch einige Monate vor dessen Tod, den Jungen – obwohl erst neun Jahre alt – zu verloben. Als Ehefrau sucht Kurfürst Carl Philipp seine Enkelin Elisabeth Augusta aus. Die ist zwar knapp vier Jahre älter als der Verlobte, aber Erbin der Neuburger Lande an der Donau. Beide stammen also aus der Familie der Wittelsbacher, die Ehe soll damit der Dynastie die Macht sichern. Von Liebe ist nicht die Rede.

Bald nach dem Tod seines Vaters wird Carl Theodor 1734 von seinem Onkel an den Mannheimer Hof geholt. Hier soll er auf sein künftiges Amt vorbereitet werden. Er lernt außer Deutsch und Französisch auch Italienisch, Latein und (was für das 18. Jahrhundert ungewöhnlich ist) Englisch, wird in Literatur, Dicht- und Redekunst unterrichtet, vor allem natürlich in Religion, aber ebenso in Altertumskunde, Mythologie, Mathematik, Naturlehre – allumfassende Bildung eben. Sogar „Weisheits- und Klugheitslehre“ stehen auf dem Stundenplan. Belege dafür, dass – wie in manchen Biografien behauptet – Carl Theodor an den Universitäten in Leyden und Löwen studiert, existieren laut Ralf Wagners Forschungen indes nicht.

Ab 1741 führt Carl Philipp seinen künftigen Nachfolger selbst in die Regierungsgeschäfte und militärische Regularien (an denen er kein großes Interesse gehabt haben soll) ein. Am 17. Januar 1742 folgt der große Tag: „Das gedoppelte hohe Beylager“, wie es damals heißt – sprich eine spektakuläre Doppelhochzeit der zwei Enkelinnen von Carl Philipp. Carl Theodor heiratet seine Cousine Elisabeth Augusta, deren jüngere Schwester Maria Anna ehelicht Herzog Clemens von Bayern.

In einer feierlichen Prozession, voran das Militär und Hofkavaliere mit brennenden Kerzenleuchtern in der Hand, ziehen die Brautleute und die Gäste über den Ehrenhof in die Schlosskirche ein. Nach der Trauung und der festlichen Tafel folgt ein Ball im Rittersaal. Am darauffolgenden Tag wird die – heute nicht mehr bestehende – Hofoper feierlich eröffnet. Zu sehen gibt es die Oper „Meride“ von Hofkapellmeister Carlo Pietragrua, eine Uraufführung.

Die Trauung der Eheleute nimmt Erzbischof Clemens August von Köln vor. Fast alle Wittelsbacher sind da, darunter Karl VII. Albrecht von Bayern, der künftige Kaiser. Daher gibt es bis heute im Mannheimer Schloss, im Ostteil der Bel Etage, das „Kaiserliche Quartier“. Hier residiert er während der großen Hochzeitsfeier und tritt dann von Mannheim aus seine Reise zur offiziellen Wahl und Krönung nach Frankfurt an.

Am 16. Juni 1742 trifft der neue Kaiser eine wichtige Entscheidung. Auf Bitten von Carl Philipp erklärt er den noch nicht einmal 18-jährigen Carl Theodor für volljährig. Carl Philipp scheint zu spüren, dass seine Tage gezählt sind – schon die große Doppelhochzeit kann er nur im Rollstuhl mitfeiern. Am Silvestertag des Jahres 1742, gegen 20 Uhr, stirbt der Kurfürst im Alter von 81 Jahren und wird seinem letzten Willen gemäß in der Gruft unter der Mannheimer Schlosskirche bestattet.

Jetzt beginnt das, was Historiker „Mannheims goldene Jahre“ nennen – die Ära von Carl Theodor, der bis 1778 als Kurfürst vom Schloss aus regiert. Von 1743 bis 1778 wächst die Stadt von 8000 auf 25 000 Einwohner. Als er dann zudem 1778 nach dem Tod von Max II. Joseph und damit dem Aussterben der bayerischen Linie der Wittelsbacher nach München umziehen muss, wird er zum Herrscher über sieben Länder (Bayern, Kurpfalz, Pfalz Neuburg/Donau, Pfalz Sulzbach, Herzogtum Jülich und Berg, Marquisat Bergen op Zoom, Pfalz Zweibrücken) vom Niederrhein bis an die böhmische Grenze. Pfalz-Baiern, wie das Land offiziell heißt, ist nach Österreich und Preußen der drittgrößte deutsche Staat und eines der mächtigsten Kurfürstentümer.

Während Carl Theodors Regentschaft wird das Mannheimer Schloss zu einem Zentrum für Wissenschaften und Künste („Neckarflorenz“ oder „rheinisches Athen“ genannt) und die Sommerresidenz in Schwetzingen entwickelt er zu einer der schönsten Europas. Carl Theodor strebt eine schnellere, humanere Gerichtsordnung an, fördert Landwirtschaft und eine Agrarreform ebenso wie die Gründung von Industrien. „Internationalen Rang“ billigt Wagner Carl Theodors Förderung der Naturwissenschaften zu, etwa der Astronomie und der Physik, was durch den Bau der Sternwarte und die Gründung der Akademie der Wissenschaften 1763 deutlich wird.

Ihm liegt das Glück der Untertanen am Herzen

Wie sehr sich der Kurfürst für die Antike begeistern kann, belegen nicht nur seine beiden Italienreisen 1774/75 und 1783, sondern auch viele seiner Bauten vor allem in Schwetzingen, ebenso die Antikensaalgalerie im Mannheimer Schloss. Goethe lobt sie als „Wald von Statuen“ und Beweis der „Kunstliebe eines klugen Fürsten“. Carl Theodor gilt als neugierig, belesen, tolerant. Zudem baut er die Sammlungen wie die Gemäldegalerie, das Kupferstichkabinett, die Münzsammlung, das Naturalienkabinett sowie die Bibliothek mit Werken zu Naturwissenschaft, Geschichte, Theologie und Literatur nicht nur aus, er öffnet all die Sammlungen auch der Öffentlichkeit.

Seine Liebe zur Deutschen Sprache wird durch die Gründung der „Kurpfälzisch Teutschen Gesellschaft“ 1775 ebenso deutlich wie durch sein Eintreten für Deutsch als Bühnensprache, wovon das von ihm gestiftete Nationaltheater seinen Namen hat – weil die Auftritte eben in der deutschen Nationalsprache erfolgen und nicht in Italienisch, wie in der Oper seinerzeit üblich, oder auf Französisch, wie bis dahin in der Regel beim Schauspiel.

Aber „Musik scheint Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht liebester und beständigster Zeitvertreib zu sein“, schreibt der britische Musikhistoriker und Komponist Charles Burney, nachdem er 1772 auf seiner Tour zu europäischen Hochburger der Musik wie Paris, Genf, Venedig und Rom auch in die Kurpfalz kommt. Er bewundert das aus rund 75 fest angestellten Musikern bestehende Hoforchester, Spielweise und Ausbildungssystem der „Mannheimer Schule“ und Carl Theodor, der selber Flöte und Cello spielt. Das Orchester sei „mit Recht durch ganz Europa so berühmt“, schreibt er: „Es ist eine Armee von Generälen.“

Indes mag Carl Theodor nur diese Art von musikalischen Generälen, mit dem Militär hat er es nicht so. Er will lieber bei höfischen Festen als auf dem Schlachtfeld glänzen. „Grundsatz der Außenpolitik war die Erhaltung des Friedens“, betont Ralf Wagner. Er habe lieber Neutralität wahren als im Reigen der Großmächte (Frankreich, Preußen) mitwirken wollen. Während seiner 57-jährigen Regierungszeit sei die Wandlung vom Absolutismus zu den Zielen der Aufklärung „deutlich sichtbar“, so Wagner. In den Gesetzestexten werde das Glück der Menschen „und der daraus resultierende Nutzen des Staats betont“. Ihm liege das „Glück auch des Geringsten meiner Untertanen“ am Herzen, zitiert Wagner einen Brief des Kurfürsten an seine Schwägerin.

Das bringt Carl Theodor freilich den Spott der Preußen ein. Friedrich der Große verhöhnt ihn mit den Worten: „Carl Theodor, fauler Kerl und Glücksschwein, das mehr Länder geerbt, als selbst erobert hat. Wenn dieses Vieh doch sterben wollte, das wäre ein Glück für Deutschland.“ Der Tod ereilt den Kurfürsten in München vor 225 Jahren, am 16. Februar 1799, nach einem beim Kartenspiel erlittenen Schlaganfall.

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