Das Capitol in Washington - ein Symbol der Demokratie

Die mit Spannung erwarteten US-Kongresswahlen sind der erste Urnengang seit dem Sturm auf das Capitol im Januar 2021. Dieser Aufruhr war ein weiteres spektakuläres Ereignis in der Geschichte des Parlamentsgebäudes

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Konstantin Groß
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Wahrzeichen Washingtons und politisches Zentrum einer Weltmacht: das Capitol, Domizil für den Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika. © Konstantin Groß

Besichtigung im US-Capitol. Wir sind eine Stunde im Parlamentsgebäude unterwegs, da kommt sie auf, die Frage aller Fragen: „Sie haben uns alles so schön erklärt. Aber Sie haben mit keinem Wort den Sturm auf das Capitol erwähnt.“ Der jungen Fremdenführerin ist sichtlich unwohl zu Mute, denn sie muss antworten: „Wir haben Weisung, alle Ereignisse der vergangenen sieben Jahre nicht zu thematisieren.“ Die letzten sieben Jahre, da sind wir in 2016 – dem Jahr, in dem Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wird.

Die kleine Szene zeigt, wie politisch brisant sie sind, die Trump-Jahre, vor allem deren Ende, der gewaltsame Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021. Ein Tabubruch, ja ein Sakrileg, denn das Parlamentsgebäude gilt in den USA als Heiligtum. Mit bis zu fünf Millionen Besuchern jährlich ist es auch eine der größten Touristenattraktionen der Welt.

Eindrucksvolles Bauwerk

Schon die Anfahrt ist eindrucksvoll. Das schneeweiße Bauwerk liegt auf einem Plateau etwa 30 Meter über dem Rest der Stadt – in der Mitte zwischen Weißem Haus und Oberstem Gerichtshof, wird schon dadurch zum wichtigsten dieser drei Verfassungsorgane. Auch baulich ist das Haus gigantisch: 16 300 Quadratmeter Grundfläche, 229 Meter Länge, 107 Meter Breite, fünf Stockwerke, 658 Fenster, 540 Räume, 850 Gänge.

Rotunde unterhalb der Kuppel: Gemälde und Statuen. © Konstantin Groß

Die Besucher betreten das Capitol durch das Visitor Center, geschmückt mit Figuren großer Persönlichkeiten der USA, aus jedem der 50 Bundesstaaten. Wer präsentiert wird, sagt viel aus über den jeweiligen Staat. Mehrere wählen Indianer, Wyoming etwa den Shoshonen-Häuptling Washakie († 1900).

Eindrucksvollster Ort ist die Rotunde unterhalb der 55 Meter hohen Kuppel, geschmückt von acht Gemälden zur Geschichte der USA und von Statuen großer Präsidenten. Dwight D. Eisenhower (hier in Army-Kluft) gehört natürlich dazu, mittlerweile aber auch Ronald Reagan.

Hier werden verstorbene Persönlichkeiten öffentlich aufgebahrt, Präsidenten wie zuletzt George Bush sen. 2018, aber auch die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks 2005. Ursprünglich soll Präsident George Washington hier bestattet werden; doch seine Witwe Martha beerdigt ihn, seinem eigenen Wunsch in seinem Testament entsprechend, auf seiner Ranch Mount Vernon.

Club-Atmosphäre im Senat

Von der Rotunde aus geht es in den Senat, die kleinere, aber wichtigere der beiden Parlamentskammern, mit nur 100 Mitgliedern. Auch äußerlich gediegene Club-Atmosphäre: dunkelblauer Teppichboden, historische Pulte, das älteste von 1819.

Im Repräsentantenhaus mit seien 435 Mitgliedern geht es geschäftiger zu. Hier ist auch der Ort für die State of the Union Message, die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation. Das einzige Mal, dass er im Capitol agieren darf. Auch vereidigt wird er nur außerhalb – seit Ronald Reagan (1981) am Westportal.

Das Capitol ist Spiegelbild der Geschichte der USA. Nachdem sich 13 Gründerstaaten am 4. Juli 1776 von England lossagen, tagen die Gründerväter noch an verschiedenen Orten, zuletzt in New York, wo der erste Präsident George Washington 1789 vereidigt wird. Zu seinen Ehren benennt man noch vor seinem Tode 1799 jene neue Hauptstadt, die gerade im Entstehen befindlich ist.

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So wird nämlich verfahren, um keine der bestehenden Städte und Staaten zu bevorzugen. Man wählt einen Standort mit Zugang zur See. Zu diesem Zweck treten die Staaten Maryland und Virginia 100 Quadratmeilen an den Bund ab. Bis heute ist Washington kein Bundesstaat, sondern nur Distrikt unter der Hoheit des Kongresses. Bis heute verfügen die Bürger Washingtons daher über keinen Abgeordneten oder Senator.

Washington wird in einem leeren Sumpfgelände auf dem Reißbrett angelegt. Als Vorbild dient unter anderem Karlsruhe mit seinem Fächergrundriss – gemäß einer Karte, die Thomas Jefferson 1788 von seiner Deutschlandreise mitbringt. Zum Mittelpunkt wird das Parlament. Die Namen der Straßen zeigen an, in welcher Beziehung sie zum Capitol liegen (15th Street North East).

Kongress der USA



Kongress: Das Capitol-Gebäude in Washington ist Sitz des Kongresses, des Parlaments der USA. Es besteht aus zwei Kammern: dem Senat und dem Repräsentantenhaus.

Repräsentantenhaus: 435 Mitglieder. Die Vertretung der Bundesstaaten richtet sich nach ihrer Bevölkerungszahl. Die Amtszeit der Abgeordneten beträgt nur zwei Jahre. Das Haus besitzt das Budgetrecht und das Recht, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten. Der Speaker des Hauses ist nach Präsident und Vizepräsident die Nummer 3 der staatlichen Hierarchie, derzeit Nancy Pelosi (82) von den Demokraten. Diese verfügen aktuell über 221 Sitze, die Republikaner über 212, zwei Sitze sind vakant.

Senat: Der Senat hat 100 Mitglieder, zwei für jeden der 50 Bundesstaaten ungeachtet seiner Größe. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre. Alle zwei Jahre wird ein Drittel von ihnen neu gewählt. Vorsitzender des Senats ist der jeweilige Vizepräsident der USA, derzeit Kamala Harris; sie hat jedoch nur bei Stimmengleichheit Stimmrecht. Der Senat befindet über Personalentscheidungen des Präsidenten, besonders die Ernennung von Obersten Richtern, Ministern und Botschaftern sowie über internationale Verträge. Bei einem Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten fungiert er als Gericht. Derzeit verfügen die Republikaner über 50 Sitze und die Demokraten über 48. Zwei Senatoren sind unabhängig.

Besichtigung: Nur in Gruppen und nach Voranmeldung unter www. visitthecapitol.gov. Sofern Plätze frei, ist eine spontane Teilnahme an einer Parlamentssitzung möglich. -tin

Die Grundidee für das Gebäude – sowohl der Kuppelbau nach dem Vorbild des Pantheons in Rom als auch der Name Capitol – stammt von Jefferson, der die junge Nation mit antiker Tradition versehen will. Planer des Capitols wird Architekt Pierre L’Enfant. Doch der wird noch vor Baubeginn gefeuert; er weigert sich, Zeichnungen anzufertigen (und vorzulegen) – mit der Begründung, er habe seine Pläne im Kopf.

Am 18. September 1793 legt Präsident Washington den Grundstein. Wo, das ist nicht bekannt. Den Großteil der Bauarbeiten erledigen Sklaven, weil die geplante Anwerbung von Arbeitskräften in Europa nicht gelingt. Als im Jahre 1800 der Nordflügel fertig ist, zieht der Kongress ein. 1811 wird der Südflügel fertig – aber noch fehlt eine Kuppel.

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Kurz danach die erste Katastrophe: Im Krieg gegen die Engländer stecken diese das Gebäude 1814 in Brand. Im Jahr darauf startet der Wiederaufbau. Die heutige Kuppel kommt erst nach 1851, als dem Raumbedarf des Parlaments der größer werdenden USA entsprechend die Seitenflügel erweitert werden. Diese bedürfen jetzt jedoch eines architektonischen Akzentes in der Mitte: einer großen Kuppel. Architekt Auguste de Montferrand lässt sich dazu vom Invalidendom in seiner Geburtsstadt Paris inspirieren.

Doch der Kongress wächst weiter, und so werden verschiedene Bereiche ausgelagert. 1897 erhält die Library of Congress, mit 40 Millionen Werken heute die größte Bibliothek der Welt, ein eigenes Gebäude, 1935 auch der Oberste Gerichtshof.

11. September und 6. Januar

Eine große Gefahr wartet am 11. September 2001. Vier Mitglieder von Al Qaida kapern – als eine von vier entführten Maschinen – den United Airlines Flug 93 und planen, damit in das Capitol zu stürzen. Doch die Passagiere verhindern dies, den ohnehin sicheren Tod vor Augen, mit einer Revolte, die Maschine stürzt in Pennsylvania ab. Die Abgeordneten versammeln sich noch am gleichen Tag auf der Treppe des Capitols und stimmen die Nationalhymne an.

Die Säulenhalle, gerade läuft Nancy Pelosi (M.) mit Body Guards vorbei. © Groß

Ein dunkler Tag ist auch der 6. Januar 2021. In gemeinsamer Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus unter Leitung von Vizepräsident Mike Pence soll der Wahlsieg Joe Bidens vom November formal bestätigt werden. Auf einer zeitgleichen Kundgebung im Ellipse-Park spricht Noch-Präsident Trump um 12 Uhr erneut von Wahlbetrug, fordert seine Anhänger auf, mit ihm zum Kongress zu ziehen. Sicherheitsbeamte halten ihn – regelkonform zu seinem eigenen Schutz – sogar handgreiflich davon ab, mitzugehen.

Um 12.30 Uhr ziehen etwa 1000 seiner Anhänger zum Kongress, viele in militärischer Montur, mit Südstaatenflaggen und Hakenkreuz-Emblemen. Die Polizisten werden überwältigt. Vier Angreifer und ein Polizist sterben; er wird später in der Rotunde aufgebahrt. Vier Beamte begehen in Folge Selbstmord.

Der Mob dringt in das Gebäude ein, verwüstet Prunksäle und Büros, ruft „Hängt Pence!“ – obwohl der Vizepräsident der engste Gefolgsmann von Trump ist, sich nun aber verfassungskonform verhalten will. Pence wird evakuiert, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verbarrikadiert sich und wird von bewaffneten Wachen verteidigt.

Verzweifelt fordern die Eingeschlossenen militärische Hilfe an. Doch Präsident Trump, der das Treiben am Fernseher verfolgt, verweigert dies zunächst, lobt die Angreifer noch um 16.17 Uhr gar als „große Patrioten“, die er „liebe“. Danach rückt die Nationalgarde doch noch an und räumt das Gebäude bis 17.40 Uhr.

Um 21.02 Uhr wird die Parlamentssitzung fortgesetzt, Joe Biden zum Präsidenten proklamiert. Die Demokratie funktioniert. Dafür ist das Capitol ein Symbol – aber eben auch für ihre Gefährdung.

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