Mannheim. Herr Lechler, was unterscheidet Ihr Buch „Krummen Wege“ von klassischen Kriminalgeschichten, wie der Titel zunächst vermuten lässt?
Peter Lechler: Als Autor zweier Kurpfalz-Krimis „Wo der Wahnsinn wohnt“ (2016) und „Rheinblut“ (2020) greife ich mit „Krumme Wege. Träume und Traumata“ (Agiro, 200 Seiten, 16,90 Euro) zu einer anderen literarischen Form, der biografischen wie der autobiografischen Erzählung, die allerdings - wie ich meine - an Spannung wenig zu wünschen übriglässt. Auch führt die Spur der porträtierten Akteure durch den Zweiten Weltkrieg hindurch zu Verbrechen, gar der übelsten Art, die jedoch kein smarter Kommissar löst und die meist ungesühnt bleiben, dienen doch die NS-Funktionäre, einschließlich ihrer Richter, in der Regel willfährig dem Regime. Die späteren Geschichten zeichnen dann Lebenslinien von Kindern der Kriegsgeneration unter dem Einfluss elterlicher Traumata. Mal äußern sich diese in gewaltorientiertem Erziehungsstil, mal als Vernachlässigung kindspezifischer Förderung, mal als Übermaß an Zuwendung und religiöser Indoktrination einer frommen Mutter. Im Essay „Alles was recht ist“ schlüpft der Erzähler dann doch noch in die Rolle eines wahrheitssuchenden Ermittlers bis zur Überführung des Tatverdächtigen.
Welche Rolle spielen alltägliche Erlebnisse und persönliche Traumata in den porträtierten Lebenswegen der Buchfiguren?
Lechler: Das Buch ist voll davon; die Akteure der acht Kapitel sind ja nicht fiktive Figuren, sondern reale Personen. Ihre Geschichten sind authentisch, einige inzwischen historisch. So manches darin geschilderte Trauma spiegelt Erlebnisse im Nazistaat, dass die Biografie der Betroffenen tiefgreifend geformt und – mal mehr, mal weniger – auch die Nachkommen in Mitleidenschaft gezogen hat.
Wie setzen Sie sich mit dem Thema „weiße Weste“ auseinander und was bedeutet dies für die Wahrnehmung von Schuld und Unschuld?
Lechler: Geschichten sind natürlich kein moralisches Traktat, und doch lässt ihr Erzähler seine ethische Haltung erkennen. Eigentlich bedeutet die sprichwörtliche weiße Weste ja, nichts Illegales getan zu haben. In einem Unrechtsstaat aber kann illegales Handeln legitim und immer wieder auch erforderlich sein. In der Erzählung „Hakenkreuz und Puppentanz“ prügelt eine streitbare Ehefrau den Gestapo-Mann aus der Wohnung, der ihren Ehemann zur Vernehmung mit Gefahr für Leib und Leben abholen will, Notwehr. Dieselbe Geschichte erzählt auch von der Lüge eines deutschen Kriegsgefangenen, kein Parteigenosse gewesen zu sein, um früher aus amerikanischer Haft entlassen zu werden. Zwar ein Fleck auf seiner sonst weißen Weste, aber durchaus menschlich. In „Laras Erbe“ versucht eine leidgeplagte Mutter ihre späte Schwangerschaft „weg zu hungern“, zum Glück erfolglos. Ihr Schicksal ringt dem Leser Verständnis für ihre Verzweiflungstat ab. Schuld und Unschuld sind keine fixen Kategorien, sondern bedürfen der ethischen Betrachtung des Einzelfalls. Empathie ist allemal vonnöten.
Zur Person
- Peter Lechler, geboren in Mannheim , arbeitet als Autor und Pädagoge und beschäftigt sich in seinen Werken mit den Brüchen und Prägungen menschlicher Biografien. Bekannt wurde er mit den Kurpfalz-Krimis „Wo der Wahnsinn wohnt“ (2016) und „Rheinblut“ (2020).
- In seinem Buch „Krumme Wege. Träume und Traumata“ (Agiro, 200 Seiten, 16,90 Euro) verlässt er das Genre des Kriminalromans und widmet sich authentischen Lebensgeschichten , die von Krieg, Schuld, Überleben und Resilienz erzählen. kaba
Gibt es ein zentrales Ereignis im Buch, das die Protagonisten besonders prägt oder verändert?
Lechler: Es ist der Krieg in dunkler Schattierung: Ein Mannheimer Bäcker, beim Überfall der NS-Marine auf Norwegen und Dänemark erst dem Tod von der Schippe gesprungen, dann zu einem Strafbataillon nach Russland beordert, ein Himmelfahrtskommando? Ein schwäbischer Künstler in der Wehrmacht, die Front in Russland, Frankreich und Tunesien überlebt, zum Schluss Kriegsgefangener in den USA. Eine auslandsdeutsche Familie in Serbien, zerrieben zwischen den Fronten, ihres Hab und Guts beraubt, schließlich auf der Flucht über diverse Lager bis ins kurpfälzische Ladenburg und eine bayrische Familie, von der Gestapo drangsaliert und von materieller Not fast in den Tod getrieben. Was half ihnen zu überleben? Das Buch wirft weiter Schlaglichter auf die Nachkriegszeit beider Familien, porträtiert Kinder in ihrer Entwicklung unter dem Einfluss vom Krieg gezeichneter Eltern. Auch gerät das Geschehen aus der Sicht eines Ex-Nazi-Juristen in den Fokus, Erinnerung gepaart mit Verdrängung, siegt letztlich die Wahrheit?
Welche gesellschaftlichen oder familiären Hintergründe spiegeln sich in den beschriebenen Träumen und Traumata wider?
Lechler: Wie schon ausgeführt spiegelt sich der von Hitler angezettelte Krieg in den Traumata der Soldatenschicksale, der Zivilisten wie einer Flüchtlingsfamilie. In den späteren Geschichten geht es dann, wie bei den meisten Deutschen, um einen Neustart im bürgerlichen Leben, sowohl bei der Tochter der bayrischen Familie, inzwischen mit dem „Künstler-Soldaten“ liiert, als auch bei der auslandsdeutschen Familie; im Mittelpunkt zwei Mütter: letztere bodenständig-bäuerlich, die Augsburger Lehrerin hingegen bildungsbeflissen und religiös. Sie sieht ihr Überleben von einer höheren Macht gelenkt, der sie sich fortan mit Haut und Haar verschreibt. Mit Kindersegen beglückt – ein Ideal der NS-deutschen Frau, will sie ihren Glauben eins zu eins an den Nachwuchs weitergeben, besonders an ihren ersten Sohn. Der erwidert Mutters Eifer zunächst, um sich dann von der Übertragung ihres Traumas auf ihn zu befreien, ein hartes Brot!
Was möchten Sie mit dem Werk vermitteln?
Lechler: „Krumme Wege“ enthält zwei zentrale Aussagen, die man als Botschaft des Autors verstehen kann. Die eine heißt „Irren ist menschlich“, eine Weisheit der Antike, die ermutigt, sich selbst gegenüber gnädig wie aufrichtig zu sein und Mitgefühl für Mitmenschen, besonders für traumatisierte, aufzubringen. Die andere Botschaft bezeugt eine innere Kraft, die in Krisenzeiten wie in schlimmster Not dem Überleben dient. Diese Quelle nennt die Psychologie neuerdings „Resilienz“, die Fähigkeit Verformtes neu zu formen und trotz alledem dem Leben einen Sinn zu geben.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-zwischen-schuld-schatten-und-ueberleben-_arid,2334473.html