Literatur regional

Wie das Dada-Werk bis heute nachhallt

Mit dem „Ball-Almanach“ hält die Hugo-Ball-Gesellschaft die Erinnerungen an das Werk des Dada-Gründers lebendig. Die neue Ausgabe widmet sich dem Monte Verità.

Von 
Georg Spindler
Lesedauer: 
Hugo Ball: Dada-Gründer und Autor. Bild: Anonymous/Public domain,/Wikimedia Commons © Anonymous/Public domain,/Wikimedia Commons

Pirmasens. Auf die Frage nach dem größten Kreativen aus der Pfalz nennen Spötter schon mal den Namen Fritz Walter. Denn die Pfälzer hatten lange Zeit ihre Schwierigkeiten mit heimischen Kulturgrößen wie Hans Purrmann oder Ernst Bloch. Viele tun sich heute noch schwer damit. Gut, dass es eine Schriftenreihe gibt wie den Hugo-Ball-Almanach, der – herausgegeben von der Stadt Pirmasens und der Hugo-Ball-Gesellschaft – an den Pionier des Dadaismus erinnert.

Neu entdeckt: Balls Artikel über Künstlerkolonie auf dem Monte Veritá

Die 16. Ausgabe ist gerade erschienen, sie erlaubt einen faszinierenden Einblick in die kulturellen Aktivitäten antibürgerlicher Aussteiger in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Eckhard Faul, Herausgeber des Almanachs, analysiert einen neu entdeckten Artikel Balls aus dem Jahr 1917, der das schillernde Treiben in einer Künstlerkolonie auf dem Monte Veritá bei Ascona beleuchtet. Dort fanden sich Freigeister mit Hang zu Okkultismus und Naturmystik auf der Suche nach einem neuen Lebensideal zusammen, feierten mit Masken und Trommeln exotische Rituale. Fern von allem Kriegsgetümmel, aber als Reflex auf Militarismus und Nationalismus.

Faul beschreibt das damalige Ascona als „Hort der pazifistischen Bewegung“, der Künstler, Musiker und Dichter anlockte. Ball habe die Anti-Kriegs-Einstellung und das „Anationale“ gefallen, die esoterische Ausrichtung sei ihm jedoch suspekt gewesen, urteilt Faul nach dem Studium von Balls Briefen. Der spöttelte über die „Askonesen“, sie seien „schafblöde Naturmenschen“, die „lang wallende Matratzenbärte“ trügen. Gleichwohl schätzte er die Schweiz als Zufluchtsort, von dort aus werde sich Europa nach dem Krieg neu beleben, hoffte er. Es kam bekanntlich anders.

1916 schlug mit dem Cabaret Voltaire die Geburtsstunde des Dadaismus

Nicht minder schrill die Szenerie der Schweizer Varietés, Vorstadtbühnen und Cafés, in denen Ball am Vorabend von Dada unterwegs war. Lorenz Schär schildert sie in einem Beitrag über den Zauberer, Feuerspeier und Gedankenleser Flamingo. Zu dessen Truppe stießen Ball und seine Frau Emmy Hennings 1915; sie als Sängerin, er als Pianist. Der Pfälzer wohnte eine Zeit lang in der Wohnung von Flamingo, teilte sich sein Zimmer mit weißen Tauben, die in einem Käfig untergebracht waren. Wie er berichtet, hatte der Wohnungsinhaber Magenprobleme, weil er für seine Feuerfontänen Petroleum trank.

Attraktionen von Flamingos Ensemble waren ein Froschmensch, Schlangenmensch und Entfesselungskünstler. Hennings trat, was ein Foto dokumentiert, als überlebensgroße Spinne auf. Ende 1915 brach das Ensemble auseinander, im Februar 1916 schlug dann mit dem Cabaret Voltaire die Geburtsstunde des Dadaismus. Seine Zeit mit Flamingo sei für Ball prägend gewesen, er habe „das Irrationale im Alltagsleben“ erlebt, zitiert Schär aus einem Brief von Hennings. Beiträge über weitere Mitglieder der Dada-Bewegung wie den Maler Max Oppenheimer und den Autor Walter Mehring runden den Blick auf Balls Lebenswelt jener Jahre ab. Aber auch das aktuelle Programm des Cabaret Voltaire wird vorgestellt. Es würdigt mit Ausstellungen etwa über den jamaikanischen Reggae-Pionier Lee Perry das Nachwirken von Dada bis in die Gegenwart.

Hugo-Ball-Almanach, Neue Folge 16, Edition Text + Kritik, München. 235 Seiten, 28 Euro.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke