Literatur

Von Sarajevo nach Mannheim: Werk und Vita von Tijan Sila

Ingeborg-Bachmann-Preisträger und Autor Tijan Sila wuchs im Bosnienkrieg auf und flüchtete Mitte der 90er-Jahre nach Mannheim. Wie der Schriftsteller sein Leben in seine Werke einfließen lässt.

Von 
Jakob Walter
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Tijan Sila hat seine ganz eigene Sicht auf die Literatur und den Schreibprozess eines Schriftstellers. © Jakob Walter

Landau. Authentisch und natürlich ist er, dieser Tijan Sila. Einer, der sich nicht verbiegt und als Schriftsteller einen ungewöhnlichen Blick auf sein Metier hat. „Schreiben hat nichts Romantisches. Man setzt sich hin und schreibt“, sagt er und nutzt dabei auch den Begriff „Satzschieberei“.

Worte, die aus dem Mund eines Ingeborg-Bachmann-Preisträgers – eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum – erst einmal verwundern mögen. Doch diese direkte, über den Tellerrand hinausblickende Art scheint den 44-Jährigen auszuzeichnen.

Kein Wunder also, dass Anja Ohmer, Leitern des Zentrums für Kultur- und Wissensdialog der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) – an welcher Sila Inhaber der 16. Poetik-Dozentur ist –, eben jenen als „Meister der Worte“ beschreibt, der mit „prägnanter, oft humorvoller Sprache“ genauso „fein wie kraftvoll“ schreibe. Im Rahmen seiner Dozentur gab der Schriftsteller unter dem Titel „Tiefgang und Leichtigkeit“ am vergangenen Samstag Einblicke in seinen Schreibprozess und sprach auch über den Einfluss seiner Biografie auf seine Werke.

Schriftsteller Tijan Sila: „In Mannheim war ich richtig einsam“

Und die ist eng mit der Region verknüpft. Geboren 1981 in Sarajewo (damals Jugoslawien), flüchtete Sila während des Bosnienkrieges mit seiner Familie nach Deutschland, kam 1994 zunächst nach Mannheim, später dann nach Landau. „In Mannheim war ich richtig einsam“, erzählt er von seinen Einwanderungserfahrungen, gerade an die Ämter der Quadratestadt hat Sila wenig gute Erinnerungen.

Anschluss habe der Schriftsteller dann erst in Landau gefunden. „Ich kam nach Landau und wurde von den Punks adoptiert“, blickt Sila lachend zurück. Dabei seien Freundschaften entstanden, die immer noch bestehen. Als Punk-Musiker ist er – neben seinen Tätigkeiten als Autor und Lehrer an einer Berufsschule in Kaiserslautern – auch heute noch in verschiedenen Bands aktiv.

Schriftsteller Tijan Sila

  • Der Schriftsteller wurde 1981 in Sarajevo geboren , flüchtete 1994 nach Deutschland und wuchs in Landau in der Pfalz auf .
  • Neben seiner Tätigkeit als Autor arbeitet Sila als Deutsch- und Englischlehrer an einer Berufsschule in Kaiserslautern .
  • Er erhielt 2024 den Martha-Saalfeld-Preis sowie den Ingeborg-Bachmann-Preis für „Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde“.
  • Sila ist Inhaber der 16. Poetikdozentur an der TU Kaiserslautern-Landau.

Die Einwanderungsgeschichte Silas spielt in seiner Literatur eine große Rolle. Doch auch in Hinblick auf sein Schaffen selbst hatte die Migration nach Deutschland eine zentrale Entwicklung zur Folge. Schon als Kind war sich Sila sicher: „Ich werde irgendwann Schriftsteller.“ Warum er sich dann aber vor allem auf Prosa und nicht – wie ursprünglich geplant – auf die Poesie spezialisierte, hing mit seiner Ankunft in Deutschland zusammen. „Auf Deutsch schreibe ich lieber Prosa“, bemerkte Sila beim Erlernen der deutschen Sprache.

Während der Schriftsteller darüber spricht, ist sie wieder da – diese ganz eigene Sicht auf die Literatur, die Sila als zweischneidiges Schwert, als etwas Egoistisches aber dennoch Allgemeingültiges, versteht. „Ich habe über mein Leben geschrieben. Wie anmaßend kann man sein?“, fragt er ein wenig scherzhaft in den Raum. Doch sein Punkt wird klar: Schriftsteller seien jederzeit der Meinung, sie könnten eine Geschichte besser erzählen als andere. Bescheidene Autoren gebe es nicht. Doch: „Wenn ich etwas über mein Leben erzähle, muss ich glauben, ich erzähle etwas über das Leben aller Menschen.“ So könne Literatur zwei entscheidende Gegensätze – die Auflösung des eigenen Ichs sowie völlige Intimität – miteinander vereinen. Eine Eigenschaft, die Tijan Sila ansonsten nur dem sexuellen Akt attestiert.

Sila schreibt über Erfahrungen von Krieg und Einwanderung

Entstanden aus dieser Philosophie sind Texte und Romane, die nicht selten Silas Lebensgeschichte behandeln. So dreht sich der Debütroman „Tierchen unlimited“ aus dem Jahr 2017 um seine Jugend in Sarajewo sowie die Flucht nach Deutschland und behandelt dabei die Frage, wie ein Kind den Krieg erlebt. Auch „Radio Sarajewo“, das 2023 erschienen ist, thematisiert autobiografisch die Kriegserfahrungen des Schriftstellers. „Krach“, erschienen im Mai 2021, skizziert wiederum Silas Jugend in der Pfalz und seine ersten Kontakte mit der Punkszene der späten 90er-Jahre.

Doch wie fängt man diese Erfahrungen, vor allem den Krieg, das Erleben von Unmenschlichem, aber dennoch vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein – wie Sila es beschreibt –, literarisch ein? „Ich las, was andere über den Krieg schrieben“, erzählt der Schriftsteller. Das Ergebnis sind Texte, die laut Sila nicht nur seine eigenen, sondern auch die Kriegserfahrungen anderer Menschen behandeln. „Kriegerische Gesellschaften schlagen ihre Kinder, geschlagene Kinder werden zu kriegerischen Menschen“ – das sei beispielsweise ein universelles Erlebnis.

Schriftsteller Tijan Sila (l.) und Anja Ohmer von der TU Landau-Kaiserslautern. © Jakob Walter

Beobachtungen wie diese zeichnen die Werke von Tijan Sila aus, drehen sich um den Krieg, aber auch um die Auseinandersetzung mit der eigenen Migrationsgeschichte. „Was ist Heimat?“ sei eine, wenn auch kitschige, Frage, die es im Leben eines Schriftstellers zu beantworten gebe. Denn wo fühlt sich ein Mensch zuhause, der in einem Land aufgewachsen ist, das so nicht mehr existiert und in einem sozialisiert wurde, in welchem er immer noch als fremd angesehen werde? Seine Literatur beschreibt Sila nicht grundlos als eine Vereinigung von „Heimatidee und Fremdgefühlen“.

Um diese Themen wird es auch in Silas nächstem Buch gehen – eine Fortsetzung von „Radio Sarajewo“. Das wird voraussichtlich 2027 erscheinen. Und danach? Fortsetzungen der Kinderbuchreihe „Lila Leuchtfeuer“, die er gemeinsam mit seiner Frau Lena Schneider schreibt und vielleicht ein Buch über seine Arbeit als Lehrer. „Ich glaube, da ist eine gute Geschichte drin“, sagt Sila.

Redaktion Online-Redakteur, zuständig für redaktionelle Videos

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