Schwetzingen. Wen die rasant-rhtymische Klassik-Formation „Spark“ am Wochenende bei den Schwetzinger Festspielen von den Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten der altehrwürdigen Blockflöte überzeugt hat, kann zwei Tage später im Mozartsaal des Schlosses ein paar Jahrhunderte zu den Ursprüngen in die Renaissance zurückgehen. Das Wiener Ensemble „Vivid Consort“ ist nicht ganz so populär ausgerichtet, dafür sehr klassisch gepflegt und feinsinnig unterwegs. Die emotionale Welt des ersten elisabethanischen Zeitalters ist ihr Thema, den mit starken Gefühlen gefüllten Kosmos des Lautenisten John Dowland und seiner Zeitgenossen haben sie poetisch „Reise in die Nacht“ betitelt.
„Vivid Consort“, das sind Christine Gnigler und Lorina Vallaster (jeweils Blockflöte und Gesang), dazu David Bergmüller an der Laute. Für die dritte Flötistin im Bunde, Sheng-Fang Chiu, musste kurzfristig der erfahrene Hochschuldozent und Interpret Thomas List vom Ensemble MIKADO einspringen, ein Experiment, das hörbar hervorragend gelingt und zu einem familiären, kunstvollen Zusammenspiel auf mehr als einem guten Dutzend verschiedener Renaissance-Blockflöten zusammenfließt. Beeindruckend, mit welcher instrumentalen Vielfalt die Musik aus der Welt vor einem halben Jahrtausend besteht.
Ein 70-minütiges Hin- und Herwiegen der in der Tongebung und -höhe unterschiedlichen Blockflöten: Die Melodien umfangen sich oft gegenseitig, die Laute als Begleitinstrument gibt Struktur und Takt. „Flow my tears“, „Come heavy sleep“ oder „Now I must die“ sind die Titel der Ayres, wie die höfischen Lieder der englischen Renaissance heißen. Die Stimmen von Christine Gnigler (Sopran) und Lorina Vallaster (Alt) passen in ihrer Körperlichkeit wie geschaffen zu den Holzblasinstrumenten. Vor allem die Sopranistin entwickelt eine selten gehörte Stimmkultur, die sich in Tempo und Dynamik steigert und dann wieder sanft nachlässt.
„Vivid Consort“: Tränen des Schmerzes und der Liebe
Die Tongeschlechter Dur und Moll sind im 16. Jahrhundert noch nicht ausgebildet, die weitestgehend lyrischen Passagen wechseln zu Zeiten im Atemrhythmus, die Klangstimmung changiert wie in einem Kaleidoskop, aus klaren Akkorden werden im nächsten Moment reibende Harmonien und reinigen sich rasch wieder. Zu den innigsten Empfindungen wie Trauer, Hoffnung, Verlangen und Sehnsucht auch hin zum Tod sollen Tränen fließen. Tränen des Schmerzes wie auch der Liebe, die Anlässe kehren sich innerhalb eines Liedes mehrfach um. John Dowland (1563 – 1626) war ein Meister dieser Gattung.
Zu Tränen gerührt das Publikum? Nein, dazu kommt es an diesem Frühlingsabend natürlich nicht, zu akademisch perfekt und virtuos sind die Interpretationen des Wiener Ensembles. Die emotionale Brechung wird immer wieder besonders durch Lautenist David Bergmüller inszeniert, der das poetische Geschehen kommentierend untermalt. Zum Ende, im um Entschuldigung bittenden „Can she excuse my wrongs“ löst sich der gefühlige Schleier endgültig. Sopran und Alt streiten im Duett heftig um die enttäuschte Liebe. Nein, nicht der Liebende selbst, sondern die kalte Herzlose, die die Liebe nicht erwidert, ist im Saldo. Die Lieder von Sorge und Leid haben ihre natürliche Berechtigung – im höfischen Kosmos und natürlich bei „Vivid Consort“.
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