Mannheim. Mit weiß behandschuhter Hand setzt Künstler Mehrdad Zaeri den Stift an. In fast nahtlos geführten schwarzen Linien beginnen auf dem Papier vor ihm Formen zu wachsen, die großformatig auf die umgebenden Wände und Stoffbahnen projiziert werden. Als würde sie die Illustration in den Klangraum hinein erweitern, lässt die Band die ersten dispersen Töne durch den Saal der Alten Feuerwache in Mannheim perlen: einsam aufgetupfte E-Piano-Anschläge, gedämpfte Gitarren-Ziselierungen, vereinzelte Bass-Punkte, Schlagzeug-Sprenkel, ein Keyboard-Streicher-Bogen.
Illustrationen werden bunt und dynamisch
Das Schwarzweiß des Zeichenprozesses wird bald in seinen Farben invertiert, verdoppelt, bewegt. Und wie die Illustration Zaeris - die schließlich als reitende Figur auf einem Pferd zu erkennen ist - an Kontur und imaginativer Dynamik gewinnt, so geschieht es auch in der Musik. Das ist, mit Verlaub, großartig und vielleicht der buchstäblich kunstvollste Moment, den wir in der über zehnjährigen Das-Vereinsheim-Geschichte erlebt haben.
„Reise“ heißt das Eröffnungsstück, verrät Sänger und Moderator David Maier, der zusammen mit Keyboarder Nico Schnepf und Sound-Zauberer Rouven Eller den Kern der kunstübergreifenden Reihe bildet.
Das Vereinsheim, das erstmals an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stattfindet, kurz erklärt: Im heimeliger Atmosphäre werden wechselnde Gäste eingeladen. Auch die Band selbst verändert sich allenthalben. Diesmal besteht sie aus Schlagzeuger Dave Mette, Gitarrist Hannes Butzer und Bassistin Leonie Geisler.
Für das Publikum wird ein solches Konzert zum 360-Grad-Erlebnis, bei dem man, so Maier, „gemeinsam eintauchen in die Musik und in die Kunst“ wolle. Die Bühne im vollen Saal ist zentral positioniert, und wie die Projektionen stahlt auch der – glasklare – Sound nach allen Seiten aus. Cedric Jack Jankowski gestaltet - diesmal mit Illustrator Mehrdad Zaeri – die visuelle Kunst.
Flavian Graber singt auf Schweizerdeutsch
Ein weiterer Grund, warum der zweistündige Abend zu einer Sternstunde wird, heißt Flavian Graber. Der einst an der Mannheimer Popakademie studierte Schweizer Sänger, Songschreiber und Instrumentalist wird vielen als Mitgründer des feinen Indie-Pop-Kollektivs We Invented Paris ein Begriff sein. Hier singt er indes auf Schweizerdeutsch und trägt seine Texte zunächst auf Hochdeutsch vor. Graber verbindet berührende Musik mit berührender Poesie. Allein den Satz „Das muss niemand verstehen, das darf einfach so sein“ aus der seiner Tochter gewidmeten Ballade „Grad jetzt“ mitnehmen zu dürfen, hätte den Konzertbesuch gelohnt.
Mit der Frankfurter Sängerin, Songschreiberin und Gitarristin Julie Kuhl hat das Vereinsheim gleichermaßen einen Glücksgriff getan. Ihr ätherisch-transluzider Gesang, der einen an Bands wie Cranes, CocoRosie oder auch Slowdive denken lässt, wird in „Angel Boy“ mit Simply-Red-artigen Funk- und Soul-Pop-Elementen zu einem irisierenden Amalgam verschmolzen. Und auch in „Nostalgic Bones“ formt sie zusammen mit der Band eine auf sehr präsente, gegenwärtige Weise entrückende Musik. Wie gewohnt überzeugen ebenso die eigenen melancholisch-eingängigen Vereinsheim-Songschöpfungen, und als Maier in der Zugabe „Ohne Dolce Vita macht das ganze keinen Sinn mehr“ singt, lässt das nicht den geringsten Widerspruch zu.
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