Mannheim. Seinen in den 1970ern frisch erworbenen Synthesizer bezeichnete Stevie Wonder damals als „Dream Machine“. In eine solche verwandelt sich unter den Händen des Mannheimer Musikers Lone Aires auch die E-Gitarre. Wo sie bei anderen schlaghart, aggressiv und kantig kracht, klingt sie bei ihm luftig, schwebend leicht und traumverhangen. Er handhabt sie wie einen Pinsel, malt damit ätherische Soundlandschaften von visueller Kraft, in denen Konturen verwischen und Klangschemen schwerelos umhertreiben.
Bei derart entmaterialisierter Musik denkt man an Beispiele aus der Rockhistorie wie Jimi Hendrix‘ brodelnde Unterwasser-Phantasie „1983 (A Merman I Should Turn To Be)“ oder an die halluzinatorischen Szenarien der Band My Bloody Valentine, die in den 1980ern einen radikalen Gegenentwurf zu konventionellem Riff-Geschrammel präsentierte.
MAlbum des Mannheimers Lone Aires: Betörende Lieder voller Einsamkeit und Verlorenheit
Doch der 27-jährige Mannheimer (mit bürgerlichem Namen Miguel Aires Haink) hat zu einer ganz eigenen Klangwelt gefunden: Seine von viel Hall getragenen Töne sind zutiefst melancholisch und vermitteln das Gefühl existenzieller Verlorenheit. Die Twang-Gitarre im Auftaktstück „It Hurts So Much“ des neuen, nur digital erschienenen Albums „It Hurt So Much That It Didn’t Hurt At All“ scheint von der Verlassenheit eines Cowboys zu erzählen, der mutterseelenallein irgendwo in der Prärie gestrandet ist.
Dazu passt der Name Lone Aires: Es ist ein Wortspiel aus Alone sowie Hainks Mittelname Aires und hört sich an wie Loners (Einzelgänger). Den adäquaten Soundtrack liefert die Ballade „Sailor“, die sich schmerzerfüllt von Takt zu Takt schleppt und in der Haink wie ein einsamer Matrose mit pueriler Stimme lamentiert: „Ich wusste nicht, ob du mich wolltest, ob ich der Richtige wäre“. Dazu schillern schlierenhaft Gitarren-Schwaden. Ein betörendes Klangbild, das auch einer Radiohead-Platte nicht schlecht anstehen würde.
Aber weil Melancholie (mindestens) 40 Schattierungen von Grau aufweist, gibt es auch andere Stimmungen. „Waiting For Nothing“ ist eine flotte, von sanfter Euphorie beseelte Nummer, bei der sehnsuchtsvoll raunender Gesang und bedächtig hingetupfte Single-Notes Hoffnung auf „irgendwas“ verbreiten. Doch das Stück mündet in das Tuten eines Telefons, eine Frauenstimme sagt „Hallo“ – niemand antwortet. Das einsame „Hallo“ taucht geisterhaft wieder auf im folgenden „Novocaine“: Das ist nun eine in der Tat schmerzstillende Pop-Hymne mit eingängigem Gesang, energetisch pumpendem Bass und druckvollem Schlagzeug.
Lone Aires: Release-Konzert am Samstag in Heidelberg
Eigentlich ist Lone Aires ein Solo-Projekt, bei dem Haink bislang alle Instrumente bis auf das Schlagzeug im Studio selbst einspielte. Für das Album trommelte er Freunde zusammen, die seine Klangvorstellungen teilen. Neben Haink (Gesang, Rhythmus-Gitarre) sein Bruder Will (Bass), Corbin Brucker (Lead-Gitarre) und Daniel Ismaili (Schlagzeug). Alle bis auf den Drummer, den Christian Kuhn ersetzt, sind dabei, wenn Lone Aires das Album live vorstellt. Am Samstag, 20. September, 20 Uhr, steht er samt Band im Kulturzentrum Carousel in Heidelberg, Hebelstraße 7, mit der Kölner Formation Borninmay auf der Bühne. Das könnte großartig werden.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-traumverhangene-klangbilder-neues-digitales-album-des-mannheimers-lone-aires-_arid,2328698.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html