Heidelberg. Montagabend in der Heidelberger Halle02: Drinnen ist es bereits dämmrig, ein künstliches Zwielicht liegt in der Luft, schwer vom ersten Schwall Nebel. Die Halle ist etwa zur Hälfte gefüllt, doch niemand drängt sich nach vorn. Auf dem Programm steht die US-amerikanische Band Sunn O))) – Ikonen des Drone-Doom-Metal, eines Genres, das sich jedem herkömmlichen Begriff von Melodik, Rhythmus oder Harmonie entzieht.
Was das sogenannte „Shoshin Duo“ – so heißt die Ur-Besetzung der Sunn-Gründer Stephen O’Malley und Greg Anderson – an diesem Abend präsentiert, lässt sich nur schwer in konventionelle musikkritische Kategorien fassen. Da gibt es kein Schlagzeug, keinen Gesang, keine Refrains, nur zwei Männer in bodenlangen Mönchsroben, die immer wieder langsam aus einer dichten Wand aus Kunstnebel auftauchen. Um sie herum türmen sich Verstärkeranlagen – bestehend aus den namensgebenden Sunn-Amps. Im diffusen Licht wirken sie wie monolithische Stelen – und irgendwie unheimlich.
Dann beginnt das Konzert mit fast unerträglicher Lautstärke – jeder im Raum trägt Ohrenstöpsel. Gleich wird klar: Sunn O))) erzeugen Klang nicht als Mittel, sondern als Zustand. Ein Akkord kann minutenlang in der Luft stehen, brummen, vibrieren, sich durch den Körper bohren. Der Sound ist körperlich und physisch spürbar. Er besteht aus tiefen Frequenzen, dröhnenden Obertönen, langsam mäandernden Feedback-Schleifen. In der Musik der Band gibt es keine Entwicklung im klassischen Sinn, keine Auflösung – nur ein permanentes Jetzt. Man könnte von einer radikal statischen Atmosphäre sprechen, die weniger auf eine erzählende Struktur als auf immersive Präsenz zielt.
Und doch ist es Musik, und zwar von einer Konsequenz, die ihresgleichen sucht. Sie verlangt eine Form von Aufmerksamkeit, die in der Popkultur selten geworden ist. Man hört Sunn O))) nicht im Vorbeigehen. Man unterwirft sich ihnen – oder man verlässt den Raum. Immer wieder recken O’Malley und Anderson in ihren Roben langsam die Hände gen Himmel, als würden sie den Klang anbeten.
Im Publikum spiegeln sich die Bewegungen: Auch dort heben sich Hände, als erwachse der Sound nicht aus Verstärkern, sondern aus einer spirituellen Tiefe. Es entsteht ein gemeinsamer Moment des Transzendenten.
Doch was zieht Menschen zu solch einem Konzert, bei dem „Songs“ lediglich als tektonische Verschiebungen von Klangmassen erscheinen?
Vielleicht ist es eine Sehnsucht nach einem extremen musikalischen Gegenteil: nach einer Musik, die nichts aufrechterhält, sondern herausfordert. In Sunns Langsamkeit, ihrer Schwere, ihrer fast liturgischen Ernsthaftigkeit liegt ein Gegengift zur hyperaktiven Überforderung der Gegenwart. Die Inszenierung verstärkt diese Erfahrung: Das Bühnenlicht ist kunstvoll, der Rauch so dicht, dass die Musiker oft nur als Silhouetten erkennbar sind. Die Roben geben ihnen etwas Sakrales, die Show wird zum Ritual.
Am Ende des anderthalbstündigen Konzerts verhallen die letzten Töne wie der Rest eines Erdbebens. Manche Fans wirken erschöpft, andere wie benommen. Doch wer genau hinschaut, erkennt auch eine gewisse Ruhe. Als hätte der Lärm etwas freigelegt, das in der Stille verborgen lag.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-sunn-o-machen-in-der-halle02-heidelberg-die-show-zum-ritual-_arid,2310952.html