Schauspiel

So erfrischend ist Alan Ayckbourns Komödie „Halbe Wahrheiten“ in Heidelberg

Das Heidelberger Zimmertheater zeigt das zeitgeistige Quartettstück in überzeugender Quartett-Besetzung.

Von 
Frank Barsch
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Neue Komödie im Heidelberger Zimmertheater mit (v.l.): Anna Voss, Katrin Wunderlich, und Saro Emirze. © Konrad Gös

Heidelberg. Wem gehören wohl die Pantoffeln, in die der verschlafene Greg morgens bei seiner Freundin schlüpft? Seine Größe ist das nicht. Und woher kommen all die Blumen in ihrer Wohnung? Das gibt dem jungen Mann schon etwas zu denken. Ginny ist seine erste Freundin und hat mehr Erfahrung in Liebesdingen inklusive einer Tendenz zu älteren Männern. Aber das ist kein Makel, schließlich leben die beiden Twens in der toleranten Phase der sechziger Jahre. Schnell schiebt Greg seine Bedenken beiseite und macht ihr einen Heiratsantrag. Ginny sagt nicht ja und nicht nein, denn sie hat noch etwas vor und muss ganz dringend los: Elternbesuch. Aber warum steht deren Adresse auf einem Streichholzheftchen? Greg hat ein sonniges Gemüt und beschließt, seine zukünftigen Schwiegereltern und Ginny zu überraschen, und fährt zu deren Landsitz „The Willows“.

Szenenwechsel im Bolero-Takt von „Perhaps, Perhaps, Perhaps“. Ein gutbürgerlicher Garten mit Vogelgezwitscher und Pergola. Sheila und Philip streiten beim ehelichen Frühstückstee über die Qualität der Orangenmarmelade. Aber Philip treibt noch etwas anderes um. Könnte seine Frau einen Liebhaber haben? Es gibt Verdachtsmomente. Außerdem muss er noch irgendwie hinlügen, dass er mit seiner jungen Gespielin auf eine ausgedehnte Reise gehen kann. Als er im Garten verschwindet, um sich an Beeten und Blumen abzureagieren, steht plötzlich Greg vor Sheila.

Ausweglosigkeit der Situation als Erfolgsrezept?

Vielleicht beruht der Erfolg von Alan Ayckbourns frühem Stück, im Original „Relatively Speaking“, auf der Ausweglosigkeit dieser Situation. Wie soll das jetzt halbwegs glaubwürdig weitergehen? Dem berühmten Komödienautor bei der Lösung dieses Problems zuzuschauen, ist einfach sehenswert. Der junge Mann redet anscheinend wirres Zeug und Sheila geht in höflichem britischen Aneinander-Vorbeireden, das Ayckbourn immer wieder mit Zweideutigkeiten spickt, darauf ein. Anscheinend will der süße Sonnyboy mit dem Herrn des Hauses über eine Ginny sprechen. Warum nicht?

Von nun an ist alles eine Frage von Auf- und Abgängen: Wer redet mit wem und versteht was falsch. Dann kommt auch noch Ginny dazu. Wer lügt und wer wird angelogen und wie schafft es der Autor diesen Kreisel immer weiter und immer schneller zu drehen?

Das Ensemble von "Halbe Wahrheiten" im Zimmertheater (v.l.): Katrin Wunderlich, Anna Voss, Luis Huayna und Saro Emirze. © Konrad Gös

Karsten Engelhardt, ein Ayckbournkenner, hat dieses Geflecht aus Wissen und Nicht-Wissen mit viel Gefühl für Timing, Pointen, sprachliche Feinheiten und charakterliche Hintergründe eingerichtet. Anna Voss als Ginny bringt die Kugel mit moderner Unbekümmertheit ins Rollen. Luis Huayna, dem sympathisch strahlenden, durch nichts zu erschütternden Greg, und Katrin Wunderlich, die Sheila verständnisvoll und gleichzeitig schwer durchschaubar spielt, steht der Stratege Philip gegenüber.

Wie Laokoon in seine eigenen Lügen und Befürchtungen verstrickt, macht Saro Emirze aus ihm einen Mann, der versucht, sein Doppelleben und sein abgelaufenes Selbstbild im Griff zu behalten, mal verzweifelt, mal arrogant, leicht schmierig, aber immer grundiert mit Lächerlichkeit. Eine klassische Vierer-Konstellation hinter der sich ein liebevolles Spiel mit dem Zeitgeist verbirgt. Durch eine Mischung aus internationaler Erfahrung und jungem Talent wird daraus im Heidelberger Zimmertheater ein erfrischend kurzweiliger Abend.

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