Literatur regional

Lyrik von Rainer Wedler: Aufbruch ins Ungewisse

Unter dem Titel „Es gibt Momente“ sind Gedichte von Rainer Wedler versammelt. Der bei Heidelberg lebende Autor erweist sich darin als feinfühliger Beobachter.

Von 
Elke Barker
Lesedauer: 
Lebt bei Heidelberg: der Autor Rainer Wedler. © Rainer Wedler

Ketsch. Rainer Wedler ist Lyriker und Romanautor. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis der Vontobel-Stiftung. „Es gibt Momente“ heißt sein neues Buch, das Gedichte aus den Jahren 2020 bis 2024 vereint und im Ludwigsburger Pop-Verlag erschienen ist. Der bei Heidelberg lebende Autor erweist sich darin als sensibler Beobachter seiner Umwelt. Wie ein Seismograph die Bewegungen des Bodens, die durch Erschütterungen, insbesondere Erdbeben entstehen, misst und aufzeichnet, so genau nimmt Rainer Wedler wahr, was in ihm und um ihn herum geschieht.

Stets offen und empfänglich für Inspiration finden ihn die ersten Verse eines Gedichts und nicht er sie, stoßen sie den Prozess an, an dessen Ende das fertige Werk steht. Sprachlich fein geschliffen zeugen Wedlers Gedichte von einer Reduktion auf das Wesentliche, von dem Wissen, dass weniger mehr ist und die gewählten Worte die Kraft haben, auf den inhaltlichen Kern zu verweisen. Seine Themen sind dabei nicht neu, man kennt sie bereits aus früheren Büchern, sie werden jedoch in einer bisher nicht gekannten Tiefe beleuchtet, in einer Radikalität, die verstörend und existentiell anmutet.

Der Autor geht von der eigenen Biografie aus, spannt den Bogen von der „Geburt in einer Bombennacht/ (…) im Licht der Explosionen“ (im Gedicht „meine Rolle“) bis hin zum Tod, „alle meine Uhren sind stumm“ (in „im warmen Gehäuse“).

Rainer Wedler spürt in seinen Gedichten Ängsten und Krisen nach

Er nimmt die Existenz von Schreibenden in den Blick, „W. der unbesiegte Großschwätzer grüßt nicht mehr“ (mein erstes Buch), reflektiert über Bücher, „verlass die engen Zeilenwege/ die ein Ziel versprechen“ (schau auf), Religion und Kirche, „seit Gott tot ist/ lebt/ der Schmerz der Freiheit“ (Gedanke verloren), er spürt Ängsten und Krisen nach, „Vorahnung von Finsternis/ und Hölle“ (worum es geht), sowie den Beziehungen zu anderen Menschen, „ich kann sie nicht finden/ nicht im Rattern der U-Bahn/ die einmal der Ort war“ (die verlorene Geliebte).

Der Fokus liegt dabei stets auf dem Fragilen, dem Brüchigen unserer Existenz. Wie beständig die Dinge auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, wir bewegen uns auf unsicherem Terrain. „Über Jahre konstruierte Sicherheit/ tragende Steine/ stoßen sich ab/ Pfeiler neigen sich/ es ist unaufhaltsam“ (die Fassade bröckelt), es scheint zu gehen „ins Chaos“ (Gedächtnissturz), und „den Plattenweg zu finden wird immer schwerer“ (nach Tagen).

Rainer Wedler spürt dem Aufbruch ins Ungewisse nach, und als Metapher dafür verwendet er immer wieder das Meer: Einerseits ist es unberechenbar, es „denkt nicht nach/ (...) grinst nicht/ (...) fragt nicht/ kommt/ wann es will/ geht/ wann es will“ (Rauchfahne), andererseits ist es auch ein Sehnsuchtsort, „am Meer zu leben/ wäre ein Versuch“ (ich).

Rainer Wedlers Gedichte fordern viel, sie verunsichern, sie holen uns heraus aus unserer Komfortzone, sind aber keineswegs ohne Trost und Hoffnung. Schon allein deshalb mag man sie immer wieder lesen.

Rainer Wedler: „Es gibt Momente“. Pop-Verlag, Ludwigsburg. 18,50 Euro.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke