Klassik

Komponist Lachenmann und seine „musique concrete instrumentale“ auf dem Streichquartettfest

Das Heidelberger Frühling Streichquartettfest feiert Jubiläum – und den 89 Jahre alten Komponisten Helmut Lachenmann.

Von 
Hans-Günter Fischer
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Oliver Wille und Helmut Lachenmann beim Eröffnungsgespräch. © studio visuell photography

Heidelberg. Was hört sich ein Schöpfer wahrhaft anspruchsvoller zeitgenössischer Musik im Auto an, wenn es auf eine Urlaubsreise nach Italien geht? Nono und Stockhausen? Mitnichten. Helmut Lachenmann hört lieber die Comedian Harmonists, „Volare“ oder Billy Joel. Und das ist noch nicht alles, was er auf dem Heidelberger Frühling Streichquartettfest konzediert: Er will den Klassikhörern, also den „Normalos“ unter ihnen, selbst ihren Tschaikowsky gönnen.

Unter der Bedingung, dass sie dessen Tönen mit so wachen Sinnen nachlauschen, wie es dem Komponisten seit gut 50 Jahren vorschwebt. Bloßes Zuhören genügt nicht. Hedonistischen Kulturkonsum, Musik als bloße Dienstleistung und falsche „philharmonische Geborgenheit“ hat Lachenmann immer bekämpft. Er tut das heute noch, mit 89.

Das Heidelberger Streichquartettfest feiert seinen 20. Geburtstag. © Nico Rademacher

Die zur Schlamperei tendierende Routine im Musikbetrieb kann ihn noch immer auf die Palme bringen. Er erzählt in Heidelberg von einer kleinen Auseinandersetzung mit den Streichern des recht renommierten Sinfonieorchesters des HR in Frankfurt.

Viel zu ungenau sei deren Spiel gewesen. „Bei James Last wärt ihr gefeuert worden“, habe er gesagt. Man dürfe das Musikmachen „nicht wie in einer Fahrschule“ erlernen, glaubt er: ein paar Basistechniken und –regeln, und das war es dann für alle Zeit. Bequemlichkeit ist ihm ein Gräuel.

Streichquartettfest in Heidelberg feiert 20. Jubiläum

Auf dem viertägigen Streichquartettfest (das ein kleines Jubiläum feiert: seinen 20. Geburtstag) wird eine Begegnung der Quartette Lachenmanns mit denen Beethovens und Bartóks inszeniert. Eine erlesene Gesellschaft. Wird ihm da, als „Neutöner“ par excellence, nach all der Zeit inzwischen selbst Klassizität bescheinigt, fragen wir ihn in einer Konzertpause.

Er wehrt natürlich ab, verweist zu Recht darauf, dass ihn Konzertveranstalter zum Teil noch immer kategorisch ablehnen. Mit dem Begriff „Avantgardist“ hadert er freilich ebenfalls, schon deshalb, weil er aus dem militärischen Bereich entlehnt sei. Und er sei nur eine große Schublade: Sogar ein Ennio Morricone habe neben Film- auch „Avantgarde-Musik“ geschrieben.

Das Ensemble Quatuor Diotima auf dem viertägigen Streichquartettfest. © Nico Rademacher

Neues aber habe er auch selbst stets schaffen wollen. Er sei Pfarrerssohn, berichtet Lachenmann, sein Vater habe zeitgenössische Musik immer mit einem knappen, spöttischen „Wer‘s mag“ belächelt. Aber Söhne seien nun mal jünger: „Jedes Paradies wird zum Gefängnis“, findet er. Man müsse es verlassen. Stets nur Milch und Honig schlürfen kann auf Dauer fade werden.

Helmut Lachenmanns Musik, wie sie in seinem ersten Streichquartett „Gran Torso“ 1971/72 knöcherne Gestalt annahm, wurde oft als asketisch wahrgenommen. Ist bis an den harten Rand der Töne vorgedrungen. Hat die Materialität des Klanges (und des Instruments) hervorgehoben und ein ganzes Arsenal an neuen, ungewohnten Artikulationsarten hervorgebracht: Die Spieler müssen mit den Bögen wischen, schaben, kratzen, pochen, mit den Händen auf das Griffbrett und den Instrumentenkörper schlagen.

Jubiläumsfeier

Es begann 2005 in der berühmten Villa Bosch nahe beim Heidelberger Schloss und mit der Unterstützung des Mäzens Klaus Tschira als Quartettwerkstatt im kleinen Kreis. Im Jahr darauf wurde die Alte Heidelberger PH zum festen Standort, und auch die Programmstruktur – neben Konzerten gibt es Workshops und die „Lange Nacht“ – war schon gefunden.

Was die Künstler angeht, trifft hier der Quartett-Nachwuchs auf das Establishment: Zum Letzteren gehörten in der aktuellen Ausgabe das Kuss Quartett und das Quatuor Diotima, eher zum Nachwuchs Opus13, das Fabrik Quartet und das Quartett HANA.

Es kommt mehr auf die mechanischen und energetischen Bedingungen der Klangerzeugung an als auf das musikalische Ergebnis. Lachenmann schuf dafür den Begriff „musique concrete instrumentale“. Der machte Schule. Ebenso wie seine Notationsweise, die heutzutage viele Schöpfer halbwegs avancierter zeitgenössischer Musik verwenden.

Wie eine Gebrauchsanweisung, eine hochpräzise Konstruktionszeichnung erscheint sie. Und sei wegen ihrer Klarheit leicht zu lernen – sagt zumindest Lucas Fels, in Heidelberg als Workshopleiter tätig. Sonst ist er Musikhochschulprofessor und spielt Cello im Arditti Streichquartett.

Lachenmanns Geräuschmusik neben Beethoven und Bartók

Der Komponist aber sitzt immer neben ihm, erläutert, dass es letztlich um die „Neuerfindung eines Instruments“ gehe. Seine Geräuschmusik strebe dabei nach künstlichen Naturtönen. „Verdammt noch mal, die Klänge sind nicht hässlich!“, ruft er aus – und das französische Quatuor Diotima beweist das auch in einer Aufführung des zweiten Streichquartetts („Reigen seliger Geister“). Selbst das Aufsetzen der harten Bogenschrauben auf die Saiten geht extrem behutsam vor sich. Wir betreten einen Feinkostladen. Es ist nichts Schockierendes an diesem Stück.

Und so passt Lachenmann nicht nur zu Beethoven und Bartók, sondern auch zum Rest des Standardrepertoires, das auf dem Streichquartettfest an vier Tagen im stets vollen Saal natürlich auch gespielt wird. In der „Langen Nacht“ am Samstag steht dann allerdings viel Zeitgenössisches auf dem Programm, und Helmut Lachenmann hört die Musik seiner Kollegen und Kolleginnen so aufmerksam, wie er es selbst oft fordert. Aber: Unter Komponisten gebe es keine Kollegen, witzelt er. Das sei wie bei den Taschendieben.

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