Literatur regional

„Jean Sbogar“: Historische Widersprüche und Konflikte

Eine neue Übersetzung des Romans „Jean Sbogar“ ist im Heidelberger Flur-Verlag erschienen. Der Roman erzählt die Geschichte eines Räuberhauptmanns.

Von 
Maria Herlo
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Französischer Schrifsteller der Romantik: Charles Nodier. © picture alliance / opale.photo

Es ist ein mutiges Unterfangen, eine Anfang des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Abenteuergeschichte, die gleichermaßen als romantisches Drama und gesellschaftskritischer Kommentar fungiert, neu aufzulegen. Die promovierte Romanistin Alexandra Beilharz, Gründerin des Heidelberger Flur-Verlags, wagte es trotzdem.

Denn ein Schwerpunkt des Verlags ist es, wenig bekannte Autoren zugänglich zu machen und vergessene Klassiker des 19. und 20. Jahrhunderts neu zu entdecken. So veröffentlichte sie kürzlich in eigener Übersetzung ein Büchlein mit dem Essay „Nein, ich bin keine Feministin“ der in Vergessenheit geratenen französischen Autorin Rachilde (1860 – 1956), die zu ihrer Zeit eine erfolgreiche Schriftstellerin war.

Jean Sbogar, eine Schlüsselfigur der französischen Romantik

Diese Wiederentdeckung gab die Verlegerin fast zeitgleich mit dem 1818 erschienenen, inzwischen wenig beachteten Räuberroman „Jean Sbogar“ von Charles Nodier (1780 – 1844) heraus, eine Schlüsselfigur der französischen Romantik. Grundlage der Neuausgabe war die erste Übersetzung ins Deutsche von 1835, gefolgt von einer Bearbeitung aus dem Jahr 1914. Ergänzt wurde sie mit Passagen, die in den vorangegangenen Ausgaben weggelassen wurden.

Große Teile davon hat die Verlegerin selbst übersetzt. Der Roman erzählt die schaurige Geschichte des Räuberhauptmanns Jean Sbogar und seiner tragischen Liebesbeziehung zu der 17-jährigen Antonia, die mit ihrer verwitweten Stiefschwester im Elternhaus am Rande von Triest lebt. Genau wie Venedig leidet die Stadt unter den Napoleonischen Kriegen.

Bei einer Abendgesellschaft in Venedig lernt Antonia einen Edelmann unbekannter Herkunft kennen und verliebt sich in ihn. Der Edelmann stellt sich als Lothario vor und ist ebenfalls vom tugendhaften Charme Antonias angetan. Nach einigen Treffen jedoch verschwindet Lothario, der in Wirklichkeit Jean Sbogar, der Hauptmann der Räuberbande ist. Unter dramatischen Umständen kommt es zu einem Wiedersehen, bei dem Antonia in Sbogar ihren Liebsten erkennt, doch endet die Geschichte für beide tragisch.

Die Zerbrechlichkeit der menschlichen Seele ausgelotet

Jean Sbogar lebt im Schatten der Gesellschaft, rebelliert gegen bestehende Normen und verfällt dennoch der Zärtlichkeit, die Antonia in ihm weckt. Diese Konstellation erinnert an frühe romantische Werke, doch Nodier erweitert dieses Motiv mit einer poetischen und oft melancholischen Note, die die tiefen Widersprüche seiner Figur und die moralischen Konflikte ihrer Zeit beleuchtet.

Somit ist „Jean Sbogar“ mehr als eine Liebesgeschichte. Der Autor lotet die Macht der Leidenschaft und die Zerbrechlichkeit der menschlichen Seele aus. Gleichzeitig wirft er Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Identität und der Freiheit auf, untermalt von einer düsteren Atmosphäre, von dramatischen Landschaftsbeschreibungen und symbolträchtigen Orten.

Dies verstärkt das Gefühl einer Welt, die zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Licht und Dunkelheit schwebt. Gespickt mit Elementen der Schauerliteratur bietet „Charles Nodier“ eine zeitlose romantische Erzählung, die für Liebhaber literarischer Meisterwerke des frühen 19. Jahrhunderts eine lohnenswerte Lektüre ist.

Nodier: „Jean Sbogar“. Flur-Verlag, Heidelberg. 248 S., 24 Euro.

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