Heidelberg. Kurz nach einer Grippe sollte man nicht zu viel Schumann aufführen. Lieber mehr Brahms. Zumindest hat sich Geigerin Isabelle Faust zu dieser nachsorgenden Therapie entschlossen. Alexander Melnikov, Fausts langjähriger Partner am Klavier, möchte beim Heidelberger Frühling in der Neuen Universitäts-Aula anscheinend ebenfalls zu ihrer Schonung beitragen, er spielt auf einem Blüthner-Flügel aus dem Jahre 1856. Unter den Konzertflügeln ist das ein Gentleman der alten Schule, der es hasst, zu lärmen und zu poltern. Einer, der nicht die Dynamik- und Diskant-Spitzen der heutigen Modelle in den Saal schießt. Was die Klangbalance im Duo mit der Geigerin, die zart-, weil darmbesaitet auftritt, automatisch ausgeglichener gestaltet.
Die unterschätzte Raffinesse des Blüthner-Klaviers
Oder etwa doch nicht? Beim Konzert in Heidelberg kommen durchaus ein paar Passagen vor, in denen Melnikov in die intimen Zwiegespräche regelrecht hineindonnert. Nicht immer wirken solche Stellen zwingend motiviert und gründlich vorbereitet, was besonders für den dritten Satz der zweiten Schumann-Violinsonate gilt, mit seinem zarten, schlichten Liedthema.
Aber vielleicht will er ja zeigen, was in einem alten Blüthner alles drinsteckt. Melnikov, ein Spezialist für solche Instrumente, ist hoch angetan, im Heidelberger Nachgespräch taut dieser Pianist, dessen Gesichtsausdruck davor ein schon fast angestrengtes Unbeteiligtsein vermittelt hat, ein Stück weit auf. Er rühmt die damals neuartige und bis heute technisch überlegene Patentmechanik seines Blüthner. Durchgesetzt habe sie sich bedauerlicherweise nicht gegen die Massenware aus dem Hause Steinway. Lautstärke ist eben meistens Trumpf.
Isabelle Fausts Liebe zur Mittellage der Musik
Aber bestimmt nicht in den beiden Brahms-Sonaten Opus 120, „eigentlich“ für Klarinette oder Bratsche vorgesehen, doch vom Komponisten selbst auch für die Geige arrangiert. Isabelle Faust kommt es nach ihrer Grippe offenkundig noch zupass, dass diese Stücke nicht so aufgewühlt wie die Sonaten Schumanns sind und einen – freilich nie ergrauten – Altersstil zum Ausdruck bringen. Sie wahrt immer wieder einen Bratschen-Ton. „Ich mag die Mittellage sehr“, verrät sie hinterher. Und selbst von Schumann werde sie bevorzugt: „Das ist seine Art, die Seele eines Instruments zu suchen.“
Eingelagert in den Brahms-plus-Schumann-Schwerpunkt sind moderne, aphoristisch kurze Stücke, ihre Schöpfer heißen Webern, Kurtág, Cage (vom Letzteren stammt die „Nocturne“-Zugabe). Das ist dem Kontrastprinzip geschuldet. Allerdings: Auch hier tun sich im engen Zeitrahmen oft weite Räume auf, etwa im ersten der vier Webern-Stücke Opus 7.
Höhepunkt ist aber zweifellos die zweite Schumann-Violinsonate, deren Kopfsatz einen drängend konzertanten Zug besitzt. Isabelle Faust begibt sich hier auf eine Berg- und Talfahrt, denn ein jäher Absturz droht nach Schumanns Höhenflügen immer. Wohl auch deshalb knirscht der Geigenton gelegentlich mit einer Herbheit, die bei dieser Instrumentalistin eher selten ist. Aber gewollt – dergleichen „unterläuft“ ihr nicht. Beim Nachgespräch wird sie von Melnikov gerühmt: Im kontrollierten Umgang mit dem Bogen sei sie absolute Weltklasse. Sie selbst betont: „Die rechte Hand muss sprechen!“ Bogenführung sei entscheidend, werde aber an den Hochschulen häufig vernachlässigt.
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