Musik

Imagine Dragons liefern in Frankfurt Stadionrock als Gemeinschaftserlebnis

Ein Konzert von Imagine Dragons ist wie ein rockiger Massenchor. Und ein Blick ins Innere von Frontmann Dan Reynolds, der in Frankfurt über Depressionen spricht.

Von 
Jakob Roth
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Frontmann Dan Reynolds beim Konzert von Imagine Dragons im Deutsche Bank Park in Frankfurt. © Rudolf Uhrig

Frankfurt. Noch grollt der Himmel über Frankfurt, als sich am Montagabend Zehntausende in den Deutsche Bank Park drängen. Doch drinnen warten sie auf einen Sturm ganz anderer Art: auf den Auftritt der Imagine Dragons. Eine ganze Weile durchzucken Blitze den Himmel, Regen prasselt auf das geschlossene Stadiondach.

Die Natur spielt ihr eigenes Intro. Das Unwetter sorgt dann für eine Verzögerung im Ablauf: Erst mit dreißig Minuten Verspätung betritt der britische Singer-Songwriter Declan McKenna die Bühne und eröffnet den Abend mit einem Set zwischen treibendem Indie-Rock und tanzbaren Pop-Balladen. Zum Schluss spielt er „Brazil“, seinen bekanntesten Song – eine musikalische Kritik an der Fußball-WM 2014. McKenna liefert einen energetischen Auftakt, der aber soundtechnisch schlecht ausgesteuert ist.

Kurz darauf gehört die Bühne dann aber dem Hauptact, und damit einer der erfolgreichsten Pop-Rock-Bands der Gegenwart: den Imagine Dragons. Seit über einem Jahrzehnt steht die Band für eine besondere Form von Stadion-Rock. Ihre Songs sind weder subtil noch banal oder musikalisch komplex. Sie arbeiten mit wuchtigen Drums, hymnischen Refrains, abrupten Dynamikwechseln und klaren, starken Emotionen. Damit sind sie einfach zu verstehen. Sie sprechen Klartext – und das sehr, sehr deutlich. Und wer sich fragt, warum ausgerechnet die Imagine Dragons mit diesem Rezept zu einer der weltweit meistgestreamten und erfolgreichsten Bands geworden sind, der muss sich nur bei einem ihrer Konzerte ins Stadion stellen – und zuhören.

Dan Reynolds wird zum Prediger einer musikalischen Gemeinschaft

Die Dragons sind zurzeit im Rahmen ihrer „Loom“-Tour unterwegs. „Loom“: Das ist der Titel ihres neuen Albums von 2024, aus dem auch der Auftaktsong „Fire up in these Hills“ stammt. Mit diesem beginnt das Konzert nicht laut, nicht antreibend, sondern überraschend ruhig. Ganz isoliert und verletzlich hallt der Gesang von Dan Reynolds durchs Stadion, dazu Klavierakkorde. Dann knallt es plötzlich, bunte Konfettistreifen regnen ins Publikum – und die Menge jubelt ohrenbetäubend laut. Bei „Thunder“, dem zweiten Song, steht das ganze Stadion, auch auf den Rängen. Mit jedem Kick-Drum-Puls steigen Feuerfontänen in die Luft, Sänger Dan Reynolds rennt über den langen Mittelsteg, das Publikum singt jede Silbe mit.

Konfettiregen beim Konzert von Imagine Dragons in Frankfurt. © Rudolf Uhrig

Was hier entsteht, ist mehr als bloße Unterhaltung. Die Songs der Imagine Dragons sind so konzipiert, dass sie gemeinsam gesungen werden können – durch einfache Refrains, wiederkehrende Schlagworte und leicht erfassbare Harmonien. Es sind rockige Massenchöre, die funktionieren wie moderne Rituale, wie gemeinsame Meditation. Die Bühne wird zur Kanzel und Dan Reynolds zum Prediger einer musikalischen Gemeinschaft. Und der scheut sich nicht, auch persönliche Themen anzusprechen. Immer wieder kommt er auf die mentale Gesundheit zu sprechen, auf innere Kämpfe, auf das, was er schlicht „struggles“ nennt.

Erfolgsrezept der Band: Nah dran sein an den Fans

Eine einfache Lösung bietet er nicht an. Aber durch die unmittelbare Emotionalität seiner Musik entsteht ein Gefühl der Nähe. Ein Wir-Gefühl. Für viele im Stadion werden die Songs so zum Schutzraum gegen eine überfordernde Welt. Und Reynolds wirkt dabei glaubwürdig. Zwischen den Songs spricht er offen über seine eigenen Depressionen, über Selbstzweifel und den langen Weg zur Selbstakzeptanz. „Ich hatte keine Selbstliebe“, sagt er. „Aber die Musik hat mir geholfen.“

Musikalisch bleibt das Konzert vorhersehbar, aber wirkungsvoll. Bei „Take me to the beach“ dopsen Strandbälle durch die Menge. Während der wuchtigen Rock-Nummer „I’m so sorry“ schießen Flammen in den Nachthimmel. Sänger Reynolds spielt Klavier, trommelt bei „Radioactive“ im Duett mit Schlagzeuger Andrew Tolman, reißt die muskulösen Arme immer wieder in die Luft, als wolle er die ganze Welt umarmen. Die Band lässt keinen Zweifel daran: Sie will nicht distanziert sein, sondern nah dran an den Fans – und genau das scheint das Erfolgsrezept der Dragons zu sein.

Ein emotionales Versprechen zum Schluss

Höhepunkte des Abends lassen sich nicht genau ausmachen. Denn der unglaubliche Erfolg der Imagine Dragons hat dazu geführt, dass – mit Ausnahme der aktuellen Platte „Loom“ – jede Nummer als absoluter Radio-Hit wiedererkennbar ist. Und die Fans kennen jedes Wort, jede Silbe. Eindrucksvoll ist die kollektive Melancholie bei der Trennungs-Hymne „Bad Liar“ und die emotionale Intensität von „Believer“. Kurz vor Schluss hängt Reynolds eine Ukraine-Flagge aus dem Publikum ans Mikrofon. Und am Ende stehen sie alle: Fans, Familien, Freundesgruppen, Jugendliche, tanzende Erwachsene. Die Band verabschiedet sich, das Stadion hallt noch nach. Zurück bleibt das Gefühl, Zeuge eines Phänomens geworden zu sein, das sich weniger über musikalische Innovation erklärt als über soziale Funktion.

Die Imagine Dragons bieten ihren Fans nicht nur nahbare Musik, sondern ein emotionales Versprechen: „Ihr seid nicht allein!“, ruft Sänger Dan Reynolds in einer Zwischensprache. Und vielleicht ist dieses Mutmachen ihr größter Hit.

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