Tanz

Im Mannheimer Eintanzhaus: Nähe schaffen für demokratisches Handeln

Das Publikum entscheidet, wann die Performance endet. „Escape“ von CieLaroque hat das Tanzfestival „Und Jetzt?“ im Mannheimer Eintanzhaus eröffnet.

Von 
Nora Abdel Rahman
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In „Escape“ von Choreografin Helene Weinzierl und ihrer Kompanie CieLaroque schwingen die Performer unter anderem hin und her. © Nikos Stavlas

Mannheim. Im Kreis sitzen schafft ein gutes Gefühl der Gemeinschaft. Mit dem Werk „Escape“ eröffnet das Festival „Und Jetzt?“ im Eintanzhaus. Seinen auffordernden Titel macht es zum Programm. Flucht ebenso wie Rettung lassen sich mit dem englischen Wort bezeichnen. Technischer ausgedrückt könnte damit sogar ein Ausgleich oder ein Code zum Umschalten, also ein Positionswechsel beschrieben werden. Erstaunlich nur, dass diese gegensätzlich erscheinenden Begriffe dem Stück der in Salzburg ansässigen Choreografin Helene Weinzierl und ihrer Kompanie CieLaroque seltsam gerecht werden.

Im Kreis lässt sich von allen Seiten gut auf das Geschehen blicken. In seiner Mitte stehen drei Performer nah beieinander, während das schummrig warme Licht einen kleinen inneren Kreis um das Trio sichtbar macht. Sie bewegen sich leicht aus der Hüfte heraus von einem Bein auf das andere, eine wippende Bewegung, die hin und her schwingt und doch plötzlich einknickt. Über mehrere Minuten schwingt das Trio in dieser Weise: erst am Platz, dann um die eigene Achse und danach in wechselnden Positionen. Durch die Reduktion auf den Gleichschritt auf engstem Raum, Wegknicken für Sekunden und Weitermachen nimmt das Stück kongenial vorweg, was seine Dimension im Ganzen eröffnet: eine erschöpfte Welt.

Und Jetzt?

  • „Und Jetzt?“ geht in die fünfte Runde. Seit 2021 ist das Festival für Performance-Kunst im Eintanzhaus am Start und greift mit Kunst die aktuellen gesellschaftlichen Debatten auf.
  • Dabei fordert „Und Jetzt?“ sein Publikum heraus und setzt auf Teilhabe . Wer sich traut, erfährt außergewöhnliche künstlerische Positionen und wird mit neuen Perspektiven belohnt.
  • „Und Jetzt?“ kann noch mehr, wenn es sein Publikum mit den Künstlern zu Tisch bittet. An jedem Performance-Freitag wird gemeinsam zu Abend gegessen . Bei Pizza, Wasser und Wein lässt sich gut miteinander ins Gespräch kommen.
  • Mit „Escape“ von Helene Weinzierl hat das Festival am vergangenen Wochenende eindrucksvoll begonnen .
  • Wer sich dem Weltgeschehen nicht ohnmächtig, sondern handlungsfähig gegenüberstellen will, sollte auch die kommenden drei Performances nicht verpassen. Sie werden den Dialog mit neugierigen Menschen suchen.
  • 16. und 17. Mai, 20 Uhr, „Sitzen ist eine gute Idee “ von Antje Pfundtner in Gesellschaft.
  • 23. und 25. Mai, 20 Uhr, „Bodies in Rebellion “ von Zufit Simon.
  • 6. und 7. Juni, 20 Uhr, „Ouverture “ von Géraldine Chollet.

„Und Jetzt?“, fragt das Team um die künstlerische Leiterin Daria Holme vom Eintanzhaus in den Mannheimer Quadraten. Eben genau diese Frage stellen sie ins Zentrum. Weil sich in vier vergangenen Jahren, für die sie das Festival mit ausgewählter Performace-Kunst gestaltet haben, diese Frage noch nicht erübrigt hat. Und Jetzt? Wie geht es weiter? Etwa mit unserem Leben, der Demokratie in unserem Land oder mit dem Klimawandel und den Kriegen auf der Welt oder mit der kapitalistischen Fixierung auf die Ressourcen des Planeten oder einer Gesellschaft, die keinen Konsens mehr sucht?

Ob der Fülle an Herausforderungen könnte man verzweifeln oder sich schlicht ohnmächtig und handlungsunfähig fühlen. Das hilft jedoch weder einem selbst, noch kann es andere ermutigen. Was aber hilft, ist ein konstruktiver Ansatz, der im Übrigen ebenso für das journalistische Schreiben gilt, wie für ein Performance-Festival oder jedes andere Verfahren von Wissensvermittlung. „Und Jetzt?“ ist eine offene und daher geeignete Frage, um in einen konstruktiven Dialog zu treten, um Debatten zu führen und Verständigung zu organisieren. Und das Eintanzhaus, die ehemalige Trinitatiskirche, ist dafür ein idealer Ort.

Mit einem solidarischen Eintrittspreis sind die Veranstaltungen für jeden erschwinglich und zugänglich. Hier wird an einer Tanz- und Performance-Kultur gearbeitet, die an der Bildung einer Community interessiert ist, um auf Augenhöhe zu kommunizieren. Denn nur so lässt sich auch eine Nähe – eine zeitliche, eine räumliche und eine soziale Nähe – zum Publikum und den Mitstreitern schaffen. Sie ist mitentscheidend für den Austausch untereinander und für den Blick nach vorn. „Und Jetzt?“ pocht weder auf ein „warum?“ noch ein „woher?“, sondern befragt konstruktiv im „wohin?“ die Zukunft, die uns alle betrifft.

Tanzfestival „Und Jetzt?“ zeigt Performance-Kunst, die den Status quo herausfordert

Nicht zufällig haben die Gestalter vom Eintanzhaus das Format „Und Jetzt?“ im Lockdown-Jahr 2021 gegründet, während der Corona-Pandemie. Nicht den Kopf haben sie in den Sand gesteckt, sondern mit Kunst gehandelt. Mit Vorträgen etwa der Autorin Kübra Gümüşay über die Macht der Sprache, und wie sie die Welt formt oder verformt, eingrenzt oder erweitert. Damit hat „Und Jetzt?“ Zuhörern in der Krise ein erhellendes Wissen vermittelt. Und weiter haben sie in den folgenden Jahren mit dem Format experimentiert und es weiterentwickelt. Mit Performance-Kunst, die den Status quo von Welt und Gesellschaft herausfordert. Darunter auch mehrmals die Werke der in der Schweiz ansässigen Documenta-Künstlerin Alexandra Bachzetsis. Sie beschäftigt sich mit Formen der Popkultur, ihrem Konsum und seiner medialen Vermittlung ebenso, wie mit stereotypen Geschlechterbildern und ihrer grenzüberschreitenden Sprengung. Noch dazu nimmt die Künstlerin ihr eigenes Werk unter die Lupe, immer bereit sich selbst und ihr Tun zu hinterfragen.

In den nächsten Wochen finden noch weitere Veranstaltungen beim Tanzfestival „Und jetzt?“ in Mannheim statt. © Simone Scardovelli

Solche Arbeiten schärfen den Blick für medial konstruierte Bilder von der Welt und sind wie ein Werkzeugkoffer für den eigenen kritischen Umgang mit ihnen. Andere Arbeiten wie das ebenfalls in der Schweiz beheimatete Kollektiv Ouinch Ouinch brechen mit Musik und urbanem Tanz schnell jede Distanz zum Publikum auf. Erst bestaunt man noch die seltsam bunt kostümierten Vögel auf der Tanzfläche und findet sich schließlich selbst hüftschwingend unter ihnen. So einfach kann man ermächtigt werden zum Selbermachen.

Im Kreis kann sich das Publikum der zunehmenden Verausgabung der drei in ihrer Mitte nicht entziehen. Inzwischen hat die CieLaroque ihren Radius und ihr Vokabular erweitert. In großen Bögen erkundet das Trio den Raum im Kreis – jeder lässt ein individuelles Repertoire an Bewegungen erkennen. Jedoch kreuzen sich ihre Wege immer wieder wie auf einer festgelegten Umlaufbahn: ein mathematisches Wunderwerk an Präzision und Ausdauer. Bis sie zurückkehren in ihren kleinen Kreis, zum Ausgangspunkt. Von da beginnt alles von neuem, bis sich an ihren Körpern die Anstrengung zeigt.

Und Jetzt? Im Kreis sitzen, ermächtigt zum Handeln. Während jemand in ein Mikrofon spricht und auf die erschöpften Tänzer verweist, wächst im Publikum das Gefühl einer kritischen Lage. Ewig könnte man den Formationen des Trios beiwohnen. Aber brechen die Tänzer nicht irgendwann zusammen? Wir rufen Stopp! „Escape“ von CieLaroque schafft ein demokratisches Setting, in dem das Publikum entscheidet, wann die Performance endet. Das berührt tief.

Freie Autorin

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