Heidelberg. „Ich rede zu wenig und denke oft darüber nach wie wenig ich rede.“ So steht es auf dem Klappentext von Slata Roschals neuem Gedichtband, der eine Zusammenfassung ihrer Beobachtungen und Gefühle geworden ist. Nicht gereimt, nicht im Versmaß, was man bei einem Gedichtband vermuten könnte. Slata Roschal schreibt Kurztexte. Auf jeder Seite ist ein Rückblick zu lesen, etwas von dem, was sie bewegt, und in dem sie dem Leser die Aufgabe stellt, in sie und in sich hineinzuhorchen. Bereits der Titel des Buches „Ich brauche einen Waffenschein, ein neues bitteres Parfum, ein Haus in dem mich keiner kennt“ gäbe dazu Anlass.
Slata Roschal wurde 1992 in Sankt Petersburg geboren. Sie war fünf, als die Familie nach Deutschland übersiedelte. In Greifswald studierte sie Literaturwissenschaften und wurde in München an der Ludwig-Maximilians-Universität promoviert. Heute lebt die Autorin in der bayerischen Hauptstadt. 2022 wurde sie mit ihrem Debütroman für den Deutschen Buchpreis nominiert. Obendrein erhielt sie renommierte Preise und begehrte Stipendien.
Im Künstlerhaus Edenkoben war sie ebenso „Writer in Residence“ wie in Innsbruck oder Nancy. Und ihre Erinnerungen daran sind ein Teil ihrer Texte, die in diesem Buch zu lesen sind. „Ich trage mein Kopfkissen von Stadt zu Stadt“, heißt es an einer Stelle in ihrem Gedichtband. Sie reist in Städte und Häuser, in denen man sie (noch) nicht kennt, in denen sie eine Zeit lang wohnen und arbeiten wird. Wo sie Lesungen halten soll. Und wo sie von einer Sprecherin des Märkischen Stipendiums träumt, die sieben kostenlose Lesungen von ihr verlangt. Oder von einem Vorstand, der Studentinnen umarmt, Prosecco einschenkt und verschwindet, wenn sie über das Wort Honorar redet.
Chronistin unserer Alltagswelt und Gesellschaft
Was Slata Roschal umtreibt, sind nicht nur die eigenen Betrachtungen, es sind Tatsachen, Tagesereignisse, weltpolitische Veränderungen und all das, was dies mit unserer Gesellschaft macht. Roschal schaut sich um. Ihre Zartheit hat sie abgelegt und denkt an einen Degen, einen Waffenschein, wenn eine „Postangestellte ihren Kunden duzt, nur weil er kein Deutsch spricht“, oder wenn ein Redakteur seinen Doktortitel ausschreibt, ihren aber nicht und ihr 100 Euro für eine Lesung anbietet.
Man sieht: Roschal denkt laut. Sie echauffiert sich über die Verletzung von Menschen- oder Frauenrechten. Oder schreibt über Alltägliches, den Postzusteller, der montags freihat, oder über den alten Mann, der die Sauerstoffgeräte seines Nachbarn abstellt, damit endlich mal Ruhe ist. Slata Roschal protokolliert die Welt. „Solange das Wlan funktioniert, sind wir nicht ganz alleine.“
Und in ein paar Jahren wird man staunen, denn dann wird das heute Geschriebene zur Zeitgeschichte mutiert sein. So wie der Bethlehemitische Kindermord: Im „Ostergedicht“ steht neben dem Massaker an Unschuldigen die Flucht nach Ägypten, ganz parallel zu dem Verlust eines Sohnes im Ersten Weltkrieg. Und was geschieht aktuell? Literatur wird die Welt nicht verändern. Aber sensibel macht sie schon.
Zum Buch
Slata Roschal
„Ich brauche einen Waffenschein, ein neues bitteres Parfüm, ein Haus in dem mich keiner kennt. Gedichte“
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg. 125 Seiten, 24 Euro.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-ich-brauche-einen-waffenschein-gedichte-von-slata-roschal-_arid,2301667.html