Opernkritik

Herzzerreißende „Jenufa“-Premiere in Heidelberg

Die Heidelberger Adaption der Oper „Jenufa“ zeigt das Menschsein in all seinen Tiefen und genealogischen Verstrickungen.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Jaesung Kim und Signe Heiberg vor dem Chor des Heidelberger Theaters. © Susanne Reichardt

Heidelberg. Leos Janáceks Oper „Jenufa“ ist Sozial- und Psychodrama in einem. Beide Sphären finden sich in den literarischen Vorlagen dieser Zeit auf unheilvolle Weise miteinander verknüpft. Gezeigt wird der Mensch in seinen schicksalhaften und brüchig gewordenen transzendenten Bezügen. Auch die Heidelberger Inszenierung von Sonja Trebes schildert das Menschsein in seinen genealogischen Abhängigkeiten, armseligen Bedingungen und psychologischen Untiefen schonungslos. Der Schluss wirkt nur halb versöhnlich.

Zwar keimt in der traumatisierten Jenufa noch einmal so etwas wie Zuneigung zum treu liebenden Laca auf, doch beide finden nach all dem Erlittenen nicht mehr zueinander. Ein schlüssiges Ende, das zugleich einen Raum öffnet, in dem Mitleid und Verständnis walten, während es die in schuldhaftes Handeln verstrickten Personen nach dem erlösenden Richterspruch drängt. Dabei sind sie selbst Gezeichnete und zu Opfern eines unentrinnbaren Geschehens bestimmt, das in seiner Interesselosigkeit am individuellen Ergehen als unbarmherzig empfunden werden muss – und doch nichts als das Leben in seinen realen Bedingungen offenbart.

Visionäre Traumgestalten enthüllen verborgene Zusammenhänge

Auf der Heidelberger Opernbühne spielt sich das Geschehen in einer Mühle ab, die das klappernde Xylophon im von Mino Marani emphatisch dirigierten Philharmonischen Orchester leitmotivisch mahlen lässt. Wenige Filmszenen (Philipp Ludwig Stangl) gewähren Einblick ins Innere des Dramas und deuten das Geschehen, wie stumm über die Bühne wandelnde Traumgestalten, assoziativ und visionär aus. Das karge Setting (Dirk Becker) erhält durch subtile Lichtwirkungen (Ralf Kabrhel) zusätzliche Raumdimensionen. Platt erklärt wird hier nichts, aber durch die reichlichen Anspielungen offenbart sich nach und nach ein Geflecht an Ursachen und Wirkungen, die Gegenwärtiges als notwendige Folge des Vergangenen erscheinen lässt.

Zum Stück

  • Leos Janáceks Oper „Jenufa“ in drei Akten wurde 1904 uraufgeführ t. Sie beruht auf dem 1890 erschienenen Drama „Ihre Ziehtochter“ von Gabriela Preissova.
  • Hauptakteure der Premiere waren Signe Heiberg (Jenufa), Kirsi Tiihonen (Küsterin), Jaesung Kim (Stewa) und Winfrid Mikus (Laca).
  • In den weiteren Rollen: Barbara Dorothea Link (Großmutter), James Homann (Altgesell), Daniel Dongjun Choi (Dorfrichter), Kylee Slee (dessen Frau), Indre Pelakauskaite (Karolka), Laura Streckert (Schäferin), Theresa Immerz (Jano), Mi Rae Choi (Barena), Sophia Damaris (Tante), Ulrike Machill und Gideon Henska (Stimmen), Jonathan Dittmar und Frederik Leu (Kind).
  • Weitere Aufführungen am 23. und 30. Mai sowie am 7., 15. und 21. Juni, jeweils 19.30 Uhr.
  • Kartentelefon: 06221/5 82 00 00. urs

Leidvolle Erfahrungen, die von Generation zu Generation weitergereicht werden, provozieren Übertragungen, mit denen früheres Unglück nachträglich in etwas Gutes verwandelt werden soll. Das kann nur mehr oder weniger katastrophal enden. Küsterin Buryja will an ihrer Ziehtochter Jenufa heilen, was ihr selbst widerfahren ist und muss sich am Ende opfern. Kirsi Tiihonen entspricht der Buryja stimmlich und darstellerisch als einer vom Schicksal schwer getroffenen Frau, die ihre Verletzungen hinter harten Gesichtszügen verbirgt – eine enorme Leistung von hoher Ausdrucksintensität.

Ein dramatisches Spektakel voller packender Szenen

Eine von mehreren herzzerreißenden Szenen ist jene, in der die Küsterin mit verzweifelter Entschlossenheit versucht, den gewissenlosen Stewa dazu zu bringen, sich zu Jenufa zu bekennen, die ein Kind von ihm erwartet. Der dem Alkoholismus verfallene Herumtreiber wird von Jaesung Kim mit kräftigem und grimmigem Tenor in seiner Verfallenheit und Hilflosigkeit porträtiert. Ihm gegenüber wirkt Winfrid Mikus als Lacan stimmlich eher blass, was die Rolle als verschmähter Liebhaber aber bereits mit sich bringt. Barbara Dorothea Link wirkt als Großmutter, mit flatterndem Sopran und in Reiterhosen gesteckt, etwas kurios. James Homann als Altgesell hingegen mit einem schwarzen, resoluten Bass, der nicht nur auf der Bühne Respekt erheischt.

Vom Schicksal getroffen: Schäferin Laura Streckert (links) und Küsterin Kirsi Tiihonen © Susanne Reichardt

Die Heidelberger Jenufa bietet ein dreistündiges Dramenspektakel mit packenden Chorszenen (Virginie Déjos und Florian Daniel), derber volkstümlicher Idiomatik und sich fortwährend erneuernden Spannungsbögen. Das Philharmonische Orchester unter Mino Marani liefert einen voluminösen, satten Klang und schmiegt sich eng an den gesanglichen Sprachduktus. Streicher und Bläser lassen die Szenen in differenzierten Farben plastisch hervortreten, hämmernde Paukenschläge kommentieren den Tod eines Kindes.

Ein ergreifender Opernabend voller Intensität

Signe Heiberg ist eine Jenufa, die mit ihrem lyrisch dramatischen Sopran vom ersten Moment an eine dominierende Präsenz erlangt und nahezu alle anderen Akteure überstrahlt. Schmerzvoll und ergreifend Jenufas Erwachen, nachdem ihr das Kind fortgenommen wurde. Ein berührendes Geigensolo im Orchestergraben fühlt mit ihr, und es folgt ein Gebet, das in seiner bestürzenden Emotionalität als Ausdruck innigster Hingabe wirkt. Während Buryja ihrer imaginierten Erlösung als Hauptverurteilte entgegengeht, schweigt die Musik – ein atemberaubender Moment.

Einer von vielen dieser Inszenierung, die trotz der szenischen Drastik und der seelischen Entblößungen nicht ins Kitschige abdriftet und auch musikalisch einlöst, was Janáceks Adaption dieses prekären Stoffes verspricht.

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