Heidelberg. Friedrich Nietzsche hat das Image dieser Oper wesentlich geprägt. Er witterte in ihr das Gegengift zur Droge Wagner: „Trockenheit der Luft“ und „südlichere Sensibilität“ statt nebelfeuchtem deutschem Tiefsinn. Und nicht nur das Wetter tut da am Premierenabend bei den Heidelberger Schlossfestspielen mit, an dem die Regisseurin Anja Kühnhold ihre neue „Carmen“-Inszenierung präsentiert.
Die positive Vordergründigkeit der Oper von Bizet kommt unverstellt zum Ausdruck. Alles ist, was es zu sein scheint, irgendeine lastende Symbolik gibt es nicht in dieser Eifersuchtsgeschichte. In der Kühnhold-Inszenierung könnte höchstens stutzig machen, dass die Wachsoldaten weiße Schminke im Gesicht haben. Sie „spielen“ also vielleicht nur die Ordnungsmacht.
Ein Torero in fast originaler Arbeitskleidung
Doch lange grübeln muss man deswegen wohl nicht, denn die Regiearbeit von Kühnhold gönnt sich keine allzu großen Ambitionen. Die Kulissen und die Massenszenen müssen es im Wesentlichen richten, was im Heidelberger Schlosshof meistens ganz gut funktioniert. Auch diesmal. Und vor allem, wenn es dunkel wird und rote Lampions an hohen, alten Mauern baumeln. Durch das Schmugglercamp im dritten Akt weht gar der Geist einer Wildwest-Ballade: Cowboyhüte, Knarren und zwei „echte“ Lagerfeuer, wenn auch feuerpolizeilich völlig unbedenklich. Für das Bühnenbild und die Kostüme ist Anna Sophia Biersch verantwortlich. Sie will dem „Carmen“-Folklorismus nicht zu deutlich aufsitzen, aber im Schlussakt tut sie es dann doch. Nicht bloß, wenn der Torero Escamillo in fast originaler Arbeitskleidung auf die Bühne hüpft.
Der Stierkämpfer ist leider das Problem, zumindest am Premierenabend: Weil Ipca Ramanovic, sein Darsteller, die toxisch-aggressive Männlichkeit des Kämpen stimmlich nicht vermitteln kann. Auch nicht sein Pendeln zwischen Arroganz und Ironie. Ramanovic‘ Organ klingt gaumig, brüchig, grau, wenn er im letzten Akt sein „Si tu m’aime“ singt, tönt es fast weinerlich. Warum nur sollte Carmen ihm den Vorzug geben? Das bringt schon ein wenig die Gesamtdramaturgie ins Wanken.
Carmen selbst hat freilich keinerlei Autoritätsproblem: Die Rollendarstellung von Almerija Delic wirkt gefestigt und facettenreich zugleich. Häufig auch abgedunkelt. Wenn sie Don José im Schlussakt ihre Nicht-Liebe erklärt, wird ihre Stimme hart und scharf. Fast ätzend.
Sänger Jeasung Kim beweist erneut sein Potenzial
Doch auch der Verschmähte steigert sich als Sänger rückhaltlos in seinen Part hinein: Der großartige Jaesung Kim beweist erneut sein Potenzial – und wird bei aller Kraftentfaltung auch der Weichheit der Melodik in der „Blumen-Arie“ vollständig gerecht. Da möchte Indre Pelakauskaite als die personifizierte blonde Tugend Micaela nicht zurückstehen. Die meisten Hauptrollen sind somit gut besetzt. Den Kollektiven glückt es ebenfalls, Bizets Musik zu feiern, namentlich dem exzellenten Heidelberger Opernchor. Das Philharmonische Orchester unter Yannis Pouspourikas tönt - über die Lautsprecher – enorm vital. Bisweilen etwas überdeutlich.
Eine Neuerung ist die von Sophie Melbinger verkörperte Erzählfigur Manuelitá. Sie ersetzt die Übertitel. Was nicht vollständig gelingt. Doch „Carmen“ ist ja hinlänglich bekannt.
Info: https://theaterheidelberg.de
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-feuerpolizeilich-ist-diese-carmen-voellig-unbedenklich-_arid,2313259.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://theaterheidelberg.de
[2] https://theaterheidelberg.de