Tanz

Ein Element von innerer und äußerer Ausdehnung

Das Tanzstück Makom der Vertigo Dance Company vereint Musik, Tanz und faszinierende Kostüme in einer vielschichtigen Choreografie - und berauscht

Von 
Nora Abdel Rahman
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Eine Tänzerin der Vertigo Dance Company in "Makom". © Vertigo Dance Company

Ludwigshafen. Zuerst schwingen Klänge von bewegtem Holz in der Luft. Eine Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern nimmt verschieden lange Hölzer – es sind lange und kurze Stöcke – von einem größeren Haufen am rechten Bühnenrand, um sie am Boden anzuordnen. Sie werden zu einer Abgrenzung, zu einem Ort geformt. In diesen neu geschaffenen Raum legt sich ein Tänzer, als würde er sich zur Ruhe betten. So beginnt das Tanzstück „Makom“ von Noa Wertheim. Auf Hebräisch hat das Wort Makom mehrere Bedeutungen. Es kann einen Platz oder Ort bezeichnen und ebenso auch ein nach innen gerichtetes Verhältnis: ein möglicher, jedoch fiktiver geistiger Rückzugsort.

Musikalische Spiegel und zeitlose Gewänder vereint

Aber das Judentum hält noch eine weitere Dimension für den Begriff bereit. Makom kann auch umschreibend Gott meinen. Somit lassen sich die Räume, die in den 60 Minuten des Stücks von der in Israel ansässigen Vertigo Dance Company geschaffen werden, vielschichtig lesen und verstehen.

Bald vermischen sich die Klänge, die beim Zusammentreffen von Holz auf Holz entstehen und „Makom“ wie ein Schlüsselthema bis zum Schluss durchziehen, mit weiteren Geräuschen – Tropfen, Donnergrollen – und dann doch Musik. Ran Bagno hat eine an Kontrasten reiche Komposition für „Makom“ geschaffen, die es faszinierend vermag, wie ein musikalischer Spiegel für Gesellschaften durch die Geschichte zu fungieren: vom archaischen Ritual antiker Zeremonien über ausgelassene Volkstänze aller Kulturen bis hin zur trancehaften Technoszene moderner urbaner Gruppen.

Verlörpern eine eingeschworene Gruppe: Tänzer der Vertigo Dance Company aus Israel, die in Ludwigshafen in "Makom" zu sehen waren. © Vertigo Dance Company

Allein Bagnos Musik vermag schon sämtliche Räume menschlichen Treibens abzubilden. Gleiches schaffen die außergewöhnlichen Kostüme des israelischen Designers Kedem Sasson. Seine wie von Pflanzen gefärbten leichten Gewänder könnten allen Zeiten entsprungen sein. Eine Art Hosenanzug, in der Mitte raffiniert gerafft und wie ein Schurz gebauscht, ist Mönchskutte und neuzeitliches Designerstück zugleich. Darin verkörpert das Ensemble der Vertigo Dance Company bald eine rituelle Gemeinschaft, bald eine modern eingeschworene Gruppe.

Tanz als Zufluchtsort und Ausdruck menschlicher Verhältnisse

Noa Wertheim hat aufs ganze Stück gesehen eine fesselnde, geniale Choreografie geschaffen, aus der das Publikum wie berauscht am Ende nach einer Stunde auftaucht. Wesentliches Merkmal dieser herausragenden Arbeit sind aber ihre einzelnen Elemente, die wie ein organisches Gebilde menschlicher Verhältnisse ineinandergreifen. In der traditionellen chinesischen Medizin ist Holz das Element für Energie und Antrieb, für Aktion und Expansion. Dieses alte Wissen ist nicht zu weit hergeholt, denn es wird in Wertheims Arbeit und Idee von einem Zufluchtsort mittels tänzerischer Energie mehrperspektivisch umgesetzt. Etwa in drei verschiedenen Duetten: mal liegt der Fokus auf den Knochen des Körpers, der sich im Tanz leicht gibt in gemeinsamen Drehungen und Hebungen vom Boden in die Luft; mal ist es das Wasser, das den Körper in Wellen bewegt und zu-, auf- und ineinanderfließen lässt; mal ist es die polarisierende Kraft, die ein Verhältnis zeigt zwischen stark und schwach, vorgeben und nachgeben. Hier öffnen sich menschliche Räume aller Schattierungen und die Hoffnung, den einen für sich zu finden.

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