Mannheim. Es wird immer ein ikonisches Stück Chormusik sein: Thomas Tallis‘ „Spem in alium“, komponiert um 1570. Seine Inszenierung wirkt auch heute noch gewaltig: Um den intendierten Raumklang zu erzeugen, füllen die acht fünfstimmigen Teilchöre auch die zwei Seitenschiffe in der Heilig-Geist-Kirche, und ihre sukzessive Einführung lässt die Besucherinnen und Besucher einen kleinen Rundweg abschreiten - natürlich nur mit ihren Ohren. Auch im 16. Jahrhundert hörte man schon Quadro. Mindestens. Im Zentrum des Geschehens (und der Kirche) steht in Mannheim allerdings Chorleiter Tristan Meister, er trägt Sorge, dass sich die von Thomas Tallis damals serienmäßig eingebauten kurzen Querstände und Dissonanzen rasch in reines Wohlgefallen auflösen.
„Hora Est“ und die „Drei Psalmen“ Opus 78
Das imposante Stück steht fast am Anfang eines Chorkonzerts, in dem ein kleines Jubiläum groß gefeiert wird: Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass Tristan Meister Vox Quadrata gründete. Der Kammerchor aus sängerischen Halbprofis hat sich zu diesem Zweck erweitert, an die 80 Mitglieder sind in der Heilig-Geist-Kirche dabei. Die Kennerschaft und Könnerschaft in Sachen Mendelssohn war aber immer schon ein Markenzeichen, und so rahmen Werke dieses Komponisten das Konzert. Zu Anfang gibt es „Hora Est“, einen Geburtstagsgruß für Schwester Fanny (und durch seine 16-Stimmigkeit doch keine Petitesse), später die „Drei Psalmen“ Opus 78, doppelchörig angelegt, sowie die obligate kleine Zugabe von Mendelssohn. Das alles schafft Gelegenheit, den Chor ins rechte Licht zu rücken, wobei nicht zuletzt die starke männliche Fraktion zu überzeugen weiß. Die weibliche fast ebenso, nur die Soprane flackern hin und wieder leicht und bilden dann auch eher eine Klangfläche als eine scharf umrissene Gestalt. Was überwiegend physiologisch zu erklären ist, denn hohe Frauenstimmen sind nun einmal so, das heißt: beim Singen manchmal nicht ganz textverständlich.
Was den günstigen Gesamteindruck nicht schmälert. Überdies ist Tristan Meister nicht nur Dirigent, sondern auch Moderator – und in beiden Ämtern ein Aktivposten. Hinzu kommt noch ein Orgel-Intermezzo von Bezirkskantor Klaus Krämer mit einem Präludium des Barockmeisters Nicolas Bruhns (der 20 Jahre vor Sankt Bach geboren wurde): wirkungsvoll kontrastreich registriert.
Watteweich verklingendes Musikstück in Mannheim
Doch mit Jaakko Mäntyjärvis Werk „Tentatio“ über die Versuchung Christi in der Wüste wird es plötzlich zeitgenössisch und ganz alt zugleich, weil diese 40-stimmige Musik von Thomas Tallis inspiriert ist, aber aus dem 21. Jahrhundert stammt. Der Teufel singt mit insistierend tiefer Stimme, doch es nützt ihm nichts, am Höhepunkt erschallt gebieterisch das „Weiche, Satan!“.
Ziemlich himmlisch ist dagegen die Bearbeitung des Adagiettos aus der fünften Sinfonie von Gustav Mahler, Clytus Gottwald hat sie unterlegt mit einem Eichendorff-Gedicht: „Im Abendrot“. In Mannheim wird daraus ein watteweich verklingendes Musikstück. Die Soprane singen, was im Original die Ersten Violinen spielen, und auch sonst hat alles seinen Platz. Einzig den Harfen-Part hat Clytus Gottwald aussortiert. Aber auch diese Mahler-Adaption ist wieder 16-stimmig – und trägt dazu bei, dass Vox Quadrata und ihr Leiter Tristan Meister in der vollbesetzten Heilig-Geist-Kirche mit einer ganz großen Visitenkarte glänzen können. Es gibt stehenden, begeisterten Applaus.
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