Das traurige „ohhhh“ kommt aus ganz vielen Mündern. „Für schätzungsweise fünf Jahre – wenn fünf reichen“, wie Schauspieler Patrick Schnicke anmerkt, gilt es nun Abschied zu nehmen von dem vertrauten Haus am Goetheplatz. „Seit Mitte Juli bin ich jetzt auch sehr nostalgisch geworden“, sagt der hier seit 2018 engagierte Schauspieler an diesem Abend auf der Opernbühne, und nicht nur bei ihm spürt man Wehmut. Viele Theaterfreunde wollen sich bei der von ihm moderierten Auktion, einem der Höhepunkte des Abschiedsfests, ein Requisit oder ein anderes Erinnerungsstück sichern. 10 000 Euro kommen so zusammen, damit eine Drehscheibe im Schauspielhaus künftig schnelle Kulissenwechsel möglich macht – was im Etat der Generalsanierung noch nicht enthalten ist.
Aber jetzt kommt das Geld zusammen, dank einer charmanten Schnellsprecherin. Lena Berkler, eine lange für ein Auktionshaus tätige Kunsthistorikerin, hat ihr Hämmerchen mitgebracht. Eine Venusfigur aus dem Fundus, für 40 Euro angesetzt, geht für 160 Euro weg, ein Tierkopf aus der „Ring“-Inszenierung von Achim Freyer, für zehn Euro angeboten, für immerhin 150 Euro.
„Da geht noch was!“ oder „Gehen Sie noch mit?“ oder „160 vielleicht?“ – Berkler schafft es, blitzschnell zu formulieren, den Überblick über die vielen Bieter zu haben und die gebotenen Beträge immer noch ein bisschen zu steigern. Ein Scheinwerfer kostet dann schon mal 440 Euro, günstiger geht ein ganzer Goldfischschwarm aus der Oper „Frau ohne Schatten“ von 2006 weg, aber statt dem Startgebot von zehn Euro pro Stück landen die 13 Exemplare dann doch meist bei jeweils um die 60 Euro.
Besonderer Stuhl
Als Überraschungsgast tritt Opernsängers Patrick Zielke auf, dessen Kostüm aus „Liebe zu den drei Orangen“ anschließend ebenfalls unter den Hammer kommt wie ein großes Foto der legendären, leider abgesetzten „Meisersinger“-Inszenierung. Janice Dixon, die in den 1990er Jahren mitgesungen hat, sitzt sogar im Publikum – ihr gilt ein besonderer Gruß von Opernintendant Albrecht Puhlmann, während mit Schauspielintendant Christian Holtzhauer drei Stühle aus dem Schauspielhaus für jeweils 650 Euro neue Eigentümer finden.
Dagegen fällt für einen ganz besonderen Stuhl der Hammer schon bei 460 Euro – es ist der Sessel, auf dem Heinz Rühmann 1993 beim „Ring an einem Abend“ gesessen hat. „Ich durfte mit ihm auf die Bühne gehen – das war das Größte, was mit im Leben widerfahren ist“, erinnert sich Robert Vondung, Möbler und seit 42 Jahren am Nationaltheater.
Wer sich Katharina Breuser anschließt, kann sehen, wo all diese Schätze gelagert waren, die jetzt versteigert worden sind – und wo noch viele weitere Kulissen und Requisiten stehen. „Abschiedstheaterführung“ nennt sich das, was die langjährige Mitarbeiterin der Statisterie anbietet – und nicht nur sie, denn der Andrang zu den Führungen ist groß.
Emotionaler Moment
Nochmal auf und hinter der Bühne stehen, die Garderoben, den – teils schon ausgeräumten – Fundus im Bunker, Chor- und Orchesterprobensaal, überall führt sie das Publikum hin. „Für mich ist das auch ein sehr emotionaler Moment“, sagt sie vor dem Start und zeigt auch an vielen Stellen, dass und warum eine Generalsanierung nötig ist.
Noch viel gründlicher erklärt das Marcus Augsburger, Leiter der Geschäftsstelle Generalsanierung. Auch er nimmt mehrmals Besuchergruppen mit auf den Weg durchs Haus und erklärt, was alles wo gemacht wird. Aber er betont auch, dass nicht gleich die Bagger rollen. „An die Grube gehen wir erst im Frühjahr“, so Augsburger unter Verweis auf die unterirdisch geplante Vergrößerung des Orchesterprobensaals. Bis Dezember sind die Theaterleute noch beschäftigt, das Haus leerzuräümen, dann müssen Schadstoffe entfernt werden, ehe das 1957 errichtete Gebäude entkernt wird. „Wir werden alle Kabel rausreißen müssen, denn viele stammen noch aus der Bauzeit und es gibt keine verlässlichen Unterlagen“, sagt Augsburger.
Ob Führungen, Chorauftritte oder Ballettworkshop – teilweise weiß das Publikum gar nicht richtig, wie es sich entscheiden soll, so viel wird geboten. Ein absolut faszinierendes, wenn auch etwas surreales Erlebnis ist ein begehbarer Parcours auf der Bühne des Schauspielhauses. „Shakespeares schillernde Welt“ heißt er, inszeniert von Hausregisseur Christian Weise auf der von Künstlerin Julia Oschatz mit verschiedensten, überwiegend schwarz angemalten Kulissen der letzten Jahrzehnte gestalteten Bühne. Man begegnet fast dem gesamten Schauspielensemble in berühmten Rollen, von Hamlet und Richard II. über Romeo und Julia bis zu Lady Macbeth oder Julius Cäsar und erfährt viel über die Arten, wie sie zu Tode gekommen sind. Alles ist arg düster, erinnert irgendwie an eine Geisterbahn. Es passt aber doch zum Abschiedsschmerz, den viele an dem Tag haben – aber bei dem Aufwand ist auch schade, dass das nur ein Wochenende läuft.
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