Schauspiel

"Moby Dick" als packendes Erzähltheater im Alten Kino Franklin

"Moby Dick" am Mannheimer Nationaltheater: Buddeberg revolutioniert Melvilles Klassiker im Alten Kino Franklin durch innovatives Erzähltheater.

Von 
Martin Vögele
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Sie spielen in „Moby Dick“ (v. l.): Omar Shaker, Sandro Sutalo, Eddie Irle, Ragna Pitoll, Patrick Schnicke und Matthias Breitenbach © Christian Kleiner

Eine Dublone hat Ahab an den Mast genagelt. Die Goldmünze soll dem gehören, der als Erster jenen weißköpfigen Riesen erspäht, der dem Kapitän des Walfängers „Pequod“ einst das Bein abgerissen hatte. Er verfolgt seitdem den Wal mit all seinem Hass. „Schwört ihr Männer, die ihr des Bootes Bug mit Tod bemannt, schwört“, ruft Ahab. Und seine Mannschaft stimmt mit ein in diesen verhängnisvollen Eid: „Tod dem Moby Dick!“

Mithin entstehen auch keine eindeutigen Charakterporträts

Regisseurin Alice Buddeberg bringt Herman Melvilles epochalen Roman „Moby Dick“ in gleichnamiger Schauspielfassung am Mannheimer Nationaltheater zur Aufführung. Buddeberg (die Produktion von Kollegin Johanna Wehner kurzfristig übernehmend) inszeniert das Stück im Alten Kino Franklin als Erzähltheater – mit den Ensemblemitgliedern Patrick Schnicke, Matthias Breitenbach, Ragna Pitoll, Sandro Sutalo, Eddie Irle und Omar Shaker. Es gibt also keine fest an die Spielenden gebunden Rollen, vielmehr wandern die Figuren vom einen zur andern, ändern damit Ton, Justierung, Spin.

Mithin entstehen auch keine eindeutigen Charakterporträts, sondern eher ein aus changierenden narrativen Strängen geflochtenes Mannschaftsbild und das Psychogramm eines rachsüchtigen, gleichwohl charismatischen Mannes, der sich Schiff und Schicksal Untertan machen will: Ahab.

Anfänglich geschieht das in vergleichsweise nüchterner Anmutung: Die Bühne ist leer, das Ensemble in Schwarz gekleidet (Kostüme: Ellen Hofmann), der Text wird kompetent dargeboten. Aber die Inszenierung lässt uns in dieser Form noch etwas unberührt. Nach geraumer Zeit beginnt der Bühnenaufbau, den die Spielenden selbst bewerkstelligen. Holz- und Rohrkonstruktionen (Bühne: Benjamin Schönecker) werden wie Walknochen oder die Spanten eines Schiffsskeletts allmählich zusammengefügt.

Atmosphärische Klänge und dramatische Waljagd

Das sieht einerseits fabelhaft aus und bezeugt zudem das handwerkliche Geschick des Ensembles. Obendrein herrscht hier aber auch eine Betriebsamkeit, die sich dynamisch mit dem erzählten Geschehen verzahnt, das gleichfalls zusehends an Fahrt, Kontur und darstellerischer Kraft gewinnt. Bald fesseln einen die bildhaft-grausamen Beschreibungen der Waljagd, von Gefahr und Sehnsucht, Vermessenheit und Zerrissenheit, die sich im Spiel der Wellen widerspiegeln.

Der Musik und dem Sounddesign (Kostia Rapoport) kommt eine essenzielle Rolle im Atmosphärenaufbau zu. Majestätisch raunende Klänge gemahnen da an driftende Gletscher in kalter, klarer Nacht oder erfüllen die Sturmsee im Japanischen Meer mit brodelndem Leben, dort, wo die längst zu einer fanatischen Gemeinschaft verschworene Besatzung der finalen Konfrontation mit dem weißen Wal entgegensteuert. Doch lässt Buddeberg die Geschichte nicht mit der „Pequod“ und der Hybris ihres Kapitäns versinken. Stattdessen findet sie – zumindest für Ismael, den Ich-Erzähler des Romans – einen hoffnungsvoll-poetischen Ausgang, der keine zwischen Mensch und Natur gespaltene, sondern die Vision einer miteinander geteilten Welt auf der Meeresoberfläche glitzern lässt.

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