Mannheim. Die Schafe werden sich am Ende etwas irritiert durch den Applaus zeigen, ähnlich wie es einem auch selbst ergeht, als man sich zu Beginn der Theaterperformance inmitten der grünen Heimstatt der Tiere wiederfindet. Es ist nachgerade ein Bilderbuch-Frühlingsabend: warm, klar, sonnig. Dem Frühling widmet das Stadtensemble des Mannheimer Nationaltheaters auch den dritten Teil seines Projekts „Vier Jahreszeiten“. Im vergangenen September hatten seine Mitglieder auf Franklin – Mannheims jüngstem Stadtteil – damit begonnen, künstlerisch herauszuarbeiten, was es bedeutet, „wenn eine neue Gemeinschaft sich bildet“, wie Stadtensemble-Leiterin Beata Anna Schmutz eingangs am Treffpunkt vor den Alten Kino Franklin erklärt.
Jeweils vier Wochen pro Spielzeit verbringt die Gruppe damit, vor Ort mit den Menschen zu sprechen, Workshops zu geben, Geschichten und Objekte zu sammeln. Für den „Frühling“ wurden nun auch viele Kinder und Jugendliche befragt: „Was ist die Zukunft einer Gemeinschaft? Gibt es Utopien hier, gibt es Ideen dafür“, so Schmutz, die zusammen mit Nazli Saremi auch für Konzeption und Organisation dieser Inszenierung verantwortlich zeichnet.
Gefragt wurde auch: Wo ist hier „die perfekte Gemeinschaft“, „Wo ist die Zukunft?“ Womit wir bei den Schafen wären: „Wusstet ihr, dass Schafe voll viel besser miteinander leben als Menschen?“, meint die junge Ensemblespielerin Lucine Direduryan. Das hat sie in einem Artikel gelesen, zumindest so halb, dann war da die „Paywall“.
Jedenfalls sind die Tiere „komplett cool“. Zu jenen geht es jetzt, genauer gesagt: zum unweit gelegenen Verein Franklin-Community für natürlich urbanes Leben. Dort nehmen Lucine Direduryan, Osama Albalkhi, Zita Hoefer, Christian Marc Klaassen, Liz Langenfelder, Michael Schreiber und Anouk Streck Aufstellung – (Schaf-)Ton in Ton in Beige und Braun gekleidet, Mützen auf dem Kopf (Szenografie und Kostüm: Sophie Lichtenberg), während sphärische Ambient-Klänge aus dem Rechner wallen (Sounddesign: Friedrich Byusa Blam).
„Traue ihm nicht, dem Frühling“, deklamieren die Spielenden chorisch. Denn „er ist wankelmütig“, hat sich „leichtfüßig tänzelnd aus dem Staub gemacht“ und „alle Hoffnung“ mit sich genommen – und die Schwestern Hansa und Grete frierend im Dunkeln des Waldes zurückgelassen.
Forderung nach Veränderung
Die beiden bilden einen mystisch-märchenhaften roten Faden in den Bewusstseinsstromschnellen des Textes (Autorin: Lea Langenfelder), die einen zwischen Frühjahrsputz und Hoffnungssuche, neuer Lebensblüte und Erinnerung an den Arabischen Frühling treiben lassen. Wir hören von Highschool-Schülerin Mary, die auf Franklin lebte und der „vielleicht an einem folgenreichen Frühlingstag das Leben ausging“, vernehmen die Forderung nach einem „Recht auf Veränderung, Veränderung zum Guten“.
Begleitend werden Blechkisten voll von Krimskrams-Memorabilien geöffnet, Krokusse („giftig, weil: Jedem Frühling wohnt ja auch ein Sterben inne“) eingegraben, Schafwolle gewalkt und zudem noch gemeinsame Choreographien ausgeführt. Und zum Schluss dieser wundersam fesselnden Performance-Premiere gibt das junge Ensemble seinem Publikum Samenkugeln mit auf den Weg.
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