Beim dreitägigen JXB Festival am Jungen Nationaltheater Mannheim (JNTM) zeigen Kinder und Jugendliche in vielfältig-eindrücklicher Weise ihre Stückentwicklungen. Dabei behandeln sie Themen wie Glück, Mut und „haarige Schönheitsideale“. Hier funkelt es von allen Seiten: Girlanden und glitzernde Fadenvorhänge schmücken das Foyer des JNTM in der Alten Feuerwache, Wimpel-Bahnen sind an der Decke aufgehängt worden. Es ist ein fröhlich gestimmter und stimmender Empfang, der einem bereitet wird, und schnell stellt sich dabei ein erwartungsvolles Festivalgefühl ein.
Von Freitag bis Sonntag dauerte es, das Bühnenfest der Jungen X Bühne, kurz: JXB. In dieser Zeit zeigten deren vier Clubs mit ihren sieben bis 14 Jahre alten Mitgliedern (bezeichnenderweise Club 0708 bis Club 1314 benannt) sowie das Konnektiv* – das ist die künstlerische Jugendvertretung des Jungen NTM – zum Spielzeitende wieder ihre aktuellen Stückentwicklungen. Die Theaterbande des benachbarten Jugendkulturzentrums Forum wollte zudem eine Vorschau ihrer Produktion „Hallo Nacht“ präsentieren und das „Knüpfen“-Erzähl-Spiel abschließend zum „Kollektiven Weltenspinnen“ einladen.
Wo bleiben denn hier die Fröhlichkeit und Freude?
Die Präsentationen werden teils in Gebärdensprache gedolmetscht. Gemeinsames Essen im Zirkuszelt im Hinterhof gibt’s obendrauf und am Samstag ferner einen „Tag der offenen Tore“ mit allerlei (Kultur-) Angeboten wie Workshops, Mitmach-Aktionen, Führungen und Konzerten in der ganzen Feuerwache. Also alles in bester Ordnung? Mitnichten: Von Fröhlichkeit und Freude findet sich auch nicht die klitzekleinste Spur, als sich die Türen des Theatersaals zum „Stück vom Glück“ mit dem Club 1112 öffnen.
Dämmrig-matt ausgeleuchtet ist die bis auf einen kahlen Baum verwaiste Bühne, und in triste Farben sind die Jungen und Mädchen gehüllt, die in der von Fatih Peker geleiteten Inszenierung mit hängenden Schultern auf- und abgehen.
Wie das düster seufzende Echo einer schweren Glocke raunt die dazu eingespielte Musik, und der erste menschliche Laut, der zu hören ist, ist das „Psst!“, mit dem einer der jungen Akteure allen zu schweigen bedeutet. „Es war einmal eine graue Stadt, die im dichten Nebel stand und wo die Zeit schien stillzustehen“, erzählen zwei Spielerinnen. „Die Straßen waren leer und die Herzen der Bewohner*innen schwer.“ Tanzen, singen, spielen – all das ist hier verboten, erfahren wir vom Chor der Kinderstimmen. „Hier hat das Glück keinen Platz.“ Aber gegen die Trost-, Farb- und Leblosigkeit dieses Ortes, gegen die ihnen auferlegten Zwänge („Ich habe es satt, immer lernen zu müssen“) und den Kummer („Ich habe es satt, dass sich meine Eltern immer streiten“) begehren die Jungen und Mädchen endlich auf, um sich auf die Suche „nach Momenten und Zeichen des Glücks“ in der Welt zu begeben.
Sie finden die Blüten einer Pflanze, einen Lichtkäfer, den Himmel, die Sterne, das Meer, ein Lächeln –und schließlich eine Tür, hinter der bunte Dinge verborgen liegen: Luftballons und Lichterkette, Blumenschmuck und Mausohren-Mütze oder auch ein Trampolin. Nun ermuntert das Ensemble sein Publikum zum Mitspielen und Seifenblasen-Machen, zum Springen, Sitzkissen-Lümmeln und Popcorn-Essen. Auf wundersame Weise verschwimmen die Grenzen zwischen Stück und Wirklichkeit: eine kraftvoll-poetische, so geglückte wie Glück verteilende Inszenierung.
Um einen engen Vertrauten des Glücks – den Mut – geht es in der Stückentwicklung „Schuhwerk auf Baustellen“, die der Club 0910 unter Leitung von Susanne Rieber bald darauf im Studio der Feuerwache vorstellt. Am Bauzaun, dort, wo die Kinder sich sonst zum Spielen treffen, finden sie unversehens einen Plastiksack voller verschiedenster Schuhe vor. Und diese werden gleichsam zu Siebenmeilenstiefeln für die Fantasie: Ein Junge schlüpft etwa in hohes Schuhwerk und verwandelt sich in einen Piratenkapitän, den mutigsten von allen, die auf den Weltmeeren segeln. Aber ist es denn so toll, was Piraten tun? „Alles kaputtzumachen und zu zerstören ist eigentlich nur böse und gemein“, wirft ein Kind ein. Wäre es nicht mutig gewesen, wenn ein Besatzungsmitglied gesagt hätte, „nee, das mach’ ich nicht mit“? Und schon sind die Spielerinnen und Spieler mitten in der Diskussion, was Courage bedeutet.
„Schuhwerk auf Baustellen“ ermuntert anregend dazu, zu differenzieren und Mut an Stellen und in Momenten zu suchen, wo er möglicherweise nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist: Eine Mutprobe absolvieren, nur um zu denjenigen zu gehören, die einen ansonsten ablehnen? Nein. In der Klasse auf- und für sich selbst einzustehen, wenn man beharrlich und unfair von der Lehrkraft übergangen wird? Sicher. Achterbahnfahren ausprobieren, obwohl einem bange davor ist? Unbedingt. Denn merke: „Wenn ich mutig bin, dann fühlt sich das total gut an.“
Beiträge zur Diskussion über selbstbestimmtes Leben
Fünf kleine, mobile Holzhäuschen sind später bei der Präsentation des Konnektiv* auf der Saal-Bühne positioniert, die teils mit selbstermächtigenden Slogans („Queer Liberation“), teils auch mit plakativ-rückschrittlichen Credos („Echte Männer weinen nicht“) beschriftet sind. Deren Türen öffnen sich nacheinander, vier Spielerinnen und ein Spieler im Inneren lesen Zeitungsmeldungen vor: Berichte über prominente Frauen, die mit – offenkundig als mangelhaft epiliert bewerteten Achseln – beobachtet wurden („Outfit: Top, Achselpartie: Flop“).
Es geht hier also um Behaarung, vornehmlich die weibliche, und deren – je nach Körperlokalisation - gesellschaftliche Anerkennung oder Ächtung. „Körpergewächse“ hat das Konnektiv* (Leitung: Anne Britting und Sebastian Reich) seine Produktion genannt, in der Linda Kreisel und Mia Westrup eingangs im launig-satirischen Show-Stil die (mehr oder weniger) fachgerechte Enthaarung von Kiwi und Kokosnuss demonstrieren. Ernster wird es, wenn die Toneinspielungen von Befragten überkommen geglaubte Haltungen aufscheinen lassen, wenn diverse Erfahrungen und Erlebnisse geschildert werden und wenn in zwei Videobeiträgen die gesellschaftlichen Normvorgaben in Sachen Beinbehaarung hervorgehoben werden.
Statt jede und jeden nach eigener (Schnitt)Fasson selig werden zu lassen, ist hier die Schwere des Erwartungs- und Anpassungsdrucks zu spüren. Dem Ensemble (außer den schon genannten wirken Luisa Bickel, Patrick Dunn, Emily Gabriel, Ceyda-Rabia Özcelik mit) gelingt hiermit ein so eindrücklicher wie vielschichtiger Beitrag zum Diskurs über selbstbestimmtes Leben und Entscheiden.
Theater für und von Jugendlichen
Bei der Jungen X Bühne (JXB) wird gemeinsam Kunst für, mit und von Kindern und Jugendlichen gemacht. Unter dem Dach des Jungen Nationaltheaters Mannheim (JNTM) kommen Spielerinnen und Spieler zwischen vier und 21 Jahren zusammen, um sich in vier wöchentlichen Clubs an verschiedenen künstlerischen Formen zu erproben.
Das von professionellen Theaterschaffenden geleitete Team der JXB wird durch die künstlerische Jugendvertretung Konnektiv* ergänzt – eine Gruppe, die für die programmatische Ausgestaltung der JXB mitverantwortlich ist.
Beim dreitägigen JXB Festival am Ende der Spielzeit zeigen die Clubs der JXB und das Konnektiv* am Jungen Nationaltheater in der Alten Feuerwache ihre Stückentwicklungen. Dieses Mal ging es um Mut und Angst, „haarige Schönheitsideale“, um Glück, Porträts und Ausstellungen. Neben den Clubpräsentationen stehen Workshops sowie Mitmach-Aktionen auf dem Programm.
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