Briefcollage

Zwischen Wäschekrise und Faschismus: Briefe bietet im Theaterhaus G7 einen Einblick in die 1930er Jahre

Das Heidelberger [Ak.T]-heater zeigt „1932 - Grüße aus Berlin“ in Mannheimer Theaterhaus G7 - eine Briefcollage führt in die Zeit der Weimarer Republik.

Von 
Martin Vögele
Lesedauer: 
Eine Szene aus dem Theaterstück „1932 – Grüße aus Berlin“. © Theaterhaus G7

Es erweist sich als ganz außergewöhnlicher Schatz, was Bühnenbildner Motz Tietze einst auf einem Sperrmüllhaufen fand, vor über 30 Jahren und – wie es ein unglaublicher Zufall will – just im selben Quadrat, in dem sich das Theaterhaus G7 befindet. Dort, wo nun die Mannheim-Premiere der theatral-musikalischen Collage „1932 – Grüße aus Berlin“ auf die Bühne gebracht wird.

Es handelte sich bei besagtem Preziosen-Bündel um Briefe, die zwei Brüder zwischen den Jahren 1930 und 1932 aus Berlin in die Ludwigshafener Heimat schrieben. Diese Korrespondenz, so erzählt der Co-Leiter des Mannheimer Theaters, Pascal Wieandt, habe der Finder zunächst „im Keller geparkt“ und schließlich Hubert Habig gegeben, der die Projektplanung für die daraus entwickelte Produktion des Heidelberger [Ak.T]-heaters übernahm.

In Barbara Wachendorffs Inszenierung öffnen drei Spielerinnen und zwei Spieler (Laura Alvarez, Helga Karola Wolf, Lina Zimmer, Aron Eichhorn, Charles Ripley) mit den Briefen der Brüder Werner und Hermann ein Zeit-Fenster zur Weimarer Republik. Der New Yorker Börsencrash von 1929 hat da schon verheerende Nachbeben gezeitigt, in Deutschland schnellen die Arbeitslosenzahlen nach oben, bald sind es mehr als drei Millionen, und bei der ersten Reichstagswahl des Jahres 1932 wird die NSDAP stärkste Kraft.

Herzliche Briefe

Von alledem ist indes erst wenig zu spüren in den Briefen, herzlich und voller Lebensdrang wendet sich vor allem Werner an die Eltern, schreibt von seinen Medizin-Examina, schwärmt von den Errungenschaften der Funkausstellung – es geht hier noch mehr um Wäsche- als um Wirtschaftskrisen.

Die Briefcollage entwirft ein plastisches, gut und lustvoll gespieltes Stimmungs- und Gesellschaftsbild, in dem zudem allerhand Musikalität steckt: Da spielt Pianistin Brigitte Becker „Puttin’ on The Ritz“ und frühen Jazz, da singt das Ensemble den „Sugar Blues“, Claire Waldoffs „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“ und „Es gibt nur ein Berlin“ oder Jimmie Rodgers’ „Blue Yodel No. 1“.

Die zuversichtlich-joviale Gutbürgerlichkeit offenbart aber auch ihre Brüchigkeit: Es gibt Entlassungen, Lohnkürzungen, Hermann wechselt die Stelle, das Leben wird bald unerschwinglich, man räsoniert darüber, welcher Partei man seine Stimme sollte („... ich werde deshalb bei der Preußenwahl doch nicht die Nazis wählen, sondern Deutschnational.“)

Kriegslärm aus Lautsprechern

Und neben der Musik dringt aus dem Radio auch Adolf Hitlers giftgeifernde Hassstimme. Am Ende hebt ein Kriegslärm aus den Lautsprechern an, der alles andere erstickt. Es ist erschreckend, wie zeitlos das klingt.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen