Moskau. „Pettersson saß in der Küche und trank seinen Morgenkaffee. Traurig blickte er durch das Fenster in den grauen Himmel. Seine Laune war schlecht.“ So fängt das 1988 erschienene Buch „Armer Pettersson“ des schwedischen Kinderbuchautors Sven Nordqvist an. Die Laune des schrulligen Alten Pettersson, würde er in Russland durchs Fenster blicken, wäre derzeit noch schlechter. Denn der kleine russische Verlag, bei dem die schwedischen Klassiker von Pettersson und seinem sprechenden Kater Findus erscheinen, hat vier der Erzählungen über das ruhige Leben inmitten der skandinavischen Natur aus dem Verkehr gezogen.
Auch „Armer Pettersson“ – in Russland „Pettersson ist traurig“ betitelt – gehört dazu. Der herumhüpfende Findus, der mit seiner guten Laune allerlei versucht, um Pettersson aufzuheitern, ist nun ausgesperrt aus den Bücherregalen. Warum? Weil Russlands Behörden die Übersetzerin dieser vier Werke vor einigen Tagen zum „ausländischen Agenten“ erklärt hat. Da im Land aber Übersetzer den Autoren gleichgestellt sind, muss der Verlag „Albus Corvus“ handeln, will er nicht noch mehr Probleme bekommen. „Armer Pettersson“, „Ein Feuerwerk für den Fuchs“, „Pettersson zeltet“ und „Kochen mit Pettersson und Findus“ müssen zurück geordert werden, weil alle diese Bücher den Sticker „18+“ bekommen müssen und mit dem Hinweis „ausländischer Agent“ versehen werden.
Patriotismus statt Vielfalt
Absurd? Ja. Mittlerweile aber tägliche Realität in Russland. Auf den Bühnen soll nur Patriotisches geboten werden, Ausstellungen propagieren den Krieg, nicht konforme Bücher müssen aussortiert werden – und seien es nur leichte Kindergeschichten über einen Kater. Der Moskauer Verlag „Albus Corvus“ ist 2013 mit den Geschichten über „Pettersson und Findus“ gestartet. Da hatte Alexandra Poliwanowa einige der Bücher längst übersetzt. Mehr als 20 Jahre ist das her. Nun ist Poliwanowa, als Kuratorin der Kulturprogramme der in Russland mittlerweile aufgelösten Menschenrechtsorganisation „Memorial“, in den Augen des Staates eine „ausländische Agentin“. „Memorial“ hat sich seit dem Ende der 1980er Jahre für die Aufklärung stalinistischer Verbrechen eingesetzt, ein Einsatz, der im Russland von heute, in dem Stalin-Büsten und -Reliefs enthüllt werden und repressive Gesetze an der Tagesordnung sind, nicht gefragt ist.
Verlage zwischen Anpassung und Repression
Die beiden Gründerinnen des Verlags üben sich in Gelassenheit. „Keine Panik! Die vier Bücher müssen neu designt werden. Alle anderen Bücher können weiterhin gekauft werden“, heißt es in der Erklärung des Verlags. Es klingt fast so wie in „Armer Pettersson“ am Ende: „Na gut, dann spiele ich mit, obwohl ich gar nicht will“, sagt Pettersson da. Der Verlag unterwirft sich der staatlichen Groteske. Was bleibt ihm auch? In anderen Verlagen finden Durchsuchungen statt, drei Mitarbeiter des Moskauer „Eksmo“-Verlages stehen seit einigen Wochen unter Hausarrest, ihnen drohen zwölf Jahre Haft, weil der Verlag ein Jugendbuch veröffentlicht hat, das eine Liebesgeschichte zwischen zwei Jungen erzählt. In den Bibliotheken verschwinden Bücher in Sonderlagern und dürfen nicht mehr verliehen werden. Menschen bekommen Bußgelder auferlegt, wenn sie in der Metro ein angeblich falsches Buch aufschlagen.
Denunzianten sind überall. Deshalb lassen die Russinnen und Russen Vorsicht walten. „Findus“ wird wieder in die Ladenregale kommen, die Menschen dürften aber beim Kauf zurückschrecken. War da nicht was? Mache ich mich strafbar? Bringe ich in der Schule ein Findus-Stück auf die Bühne? Kaufe ich ein Findus-Kostüm? Niemand weiß, wo die roten Linien verlaufen. Schon gar nicht, wenn Kinderbücher mit einem „18+“-Sticker verkauft werden müssen.
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