Ein Gewusel und Gewimmel von Stielen und Stängeln mit langen spitzen, breiten Blättern, die kreuz und quer übereinanderliegen. Verschlungen und verwoben sind, dicht und fast undurchdringlich, vom Wind in alle Richtungen gebeugt. Satt liegt die Sonne auf den vielen Grüns, lässt sie strahlen und leuchten. Dunkel und düster ist es im durchschimmernden Untergrund. Orientierungslos irrt der Blick umher, ohne Halt - dabei ist es doch nur eine kleine, etwas hochgewachsene Wiese, vielleicht nur einen halben Meter hoch. Aber der Ausschnitt ist so nah, dass sie sich in ein Riesenterrarium aus dem ältesten Erdzeitalter verwandelt, man sich klein und unbedeutend fühlt.
Mit fotorealistischen Arbeiten hat der Schweizer Maler Franz Gertsch seine Karriere begonnen. Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden zeigt jetzt eine kleine Auswahl seiner oft mehrere Meter hohen und breiten Gemälde.
Und da der mittlerweile 83-jährige Gertsch inzwischen sehr, sehr langsam malt, oft nur ein Bild pro Jahr, bekommt man auch mit wenigen Bildern schon einen Überblick über sein Schaffen, bis zu den letzten Bildern aus den Jahren 2011 bis 2013. In seinen späteren Porträtbildern, die er nach eigenen, auf Betttücher projizierten Dias anfertigte, weicht der anfängliche Hyperrealismus einer Malerei, die auch sich selbst mit ausstellt: Denn aus der Nähe sieht man eben doch die Tupfen, die bläulichen Schatten am Kinn, die roten Striche, mit denen die blonden Haare von Johanna (es handelt sich um ein Bildnis aus der Frühphase der 80er Jahre) komponiert sind und wird unvermittelt aus dem Realismus hinauskatapultiert.
In den Bildern, die er von einem Waldweg gemacht hat, wird das noch deutlicher: durch penible Akzentuierungen der Baumstämme, ihrer Strukturen oder durch das bedachtsame Setzen von Lichtreflexen. Sie bestechen durch einen akribischen Farbauftrag und tausende Details. Nur wenige Jahre ging der Künstler noch einen Schritt weiter. Nach einer Reise nach Guadeloupe schuf er Landschaftsbilder, in denen die Details noch mehr verschwimmen, die üppige Fauna in Farbfelder übergehen, und bei dem Aktbild seiner Frau Maria als junges Mädchen am Strand einen Fuß mit den Sandfarben verschmelzen.
Wohl das Verblüffendste an der Ausstellung ist, dass sie uns wieder einmal zeigt, dass die Realität sich nicht abbilden lässt. Nicht durch Fotos, erst recht nicht durch Gemälde, die vermittelt und bearbeitet sind. So wie auch wir sie erst filtern und benennen müssen, damit wir sie verstehen. Denn sonst sehen wir nur bewegte oder unbewegte Farben und Flächen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-wiese-wird-zum-riesenterrarium-_arid,524393.html