Mannheim. Im Mannheimer Eintanzhaus wird es für einen kurzen Moment dunkel, um den Beginn des Stücks von Jonas Frey anzukündigen. Dann wird es in der Stille hell, und nüchtern hebt sich der weiße Tanzboden von der schwarzen Umgebung ab. Ein Akteur nach dem anderen betritt von verschiedenen Seiten die Bühne – zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer. Sie tragen auf den ersten Blick schlichte Kostüme, die aber von Petra Vaskova raffiniert aufeinander abgestimmt sind. Es sind Kleider, die man auf der Straße an jüngeren Generationen sehen kann – weiße oder blaue Hemden, mal mit weiter Hose oder mit gesprenkelter Legging kombiniert oder ein hellblauer Sweater gepaart mit gelber Jogginghose. In jedem Fall ist hier der Look der Straße mitgedacht, auch wenn wir in „Deciphered“ auf eine Bühne im Eintanzhaus blicken. Aber was genau wird hier entschlüsselt? Im Titel steckt das aus dem Arabischen hergeleitete „Sifr“ für das „Nichts“ oder die Ziffer „Null“. Daraus lässt sich der Cipher ableiten, der für den urbanen Tanz zum Kreis wird. Und als Format ist der Kreis im Breakdance der Hip-Hop-Bewegung jener Ort für den tänzerischen Austausch.
Im Rhein-Neckar-Delta ist Jonas Frey längst als Tänzer und Choreograph und als Spezialist für urbanen Tanz bekannt. In „Fall(in)-G“ etwa nimmt er die Schwerkraft beim Fallen unter die Lupe und in „One of Us“ erforscht er eben jenes dialogische Kreisprinzip, das den einzelnen Tänzer immer wieder aus der Grupp heraushebt, und steht noch selbst mit anderen Akteuren auf der Bühne. Seine Forschungsarbeit konzentriert sich in allen Arbeiten aber immer auch auf die Schnittstellen und Anknüpfungspunkte zwischen urbanem und zeitgenössischen Tanz. Schon als Jugendlicher hat Frey, der im Heidelberger Emmertsgrund aufgewachsen ist, die HipHop-Kultur in den Workshops der Southside Rockers erlernt und später zeitgenössischen Tanz studiert und in Rotterdam mit einem Master in Choreographie gekrönt.
„Deciphered“ bricht die Kreisform auf. Frey dekonstruiert dieses urbane Tanzformat und verschiebt den Fokus vom Einzelnen auf die Gruppe. Dabei ist der Kreis eine Form von vielen und nicht mehr der Ausgangspunkt für den Dialog der Gruppe. Zu Beginn des Stücks sind Tänzerinnen und Tänzer vereinzelt und haben doch im Raum eine Verbindung zueinander. Dabei fällt jeder Akteur durch eine individuelle Tanzsprache ins Auge und erzeugt den Unterschied zu den anderen. Gleichzeitig verbindet alle die fortlaufende Lust an der Bewegung, die den urbanen Tanz wie einen Werkzeugkasten benutzt. In ihm liegen die Schlüssel, um sich dieses reiche Vokabular zu eröffnen. Doch so einfach ist es nicht. Je mehr sich zu entschlüsseln scheint auf der Ebene des urbanen Tanzes, desto stärker erschaffen die brillanten Tänzerinnen und Tänzer einen geheimnisvollen Sog im zeitgenössischen
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