Was war das für eine Aufregung, als einige junge Rabauken die Bürger in Ludwigshafen mit provokanten Aktionen erschreckten bis ins Mark. Das Kollektiv unter dem Namen Buero für angewandten Realismus kannte keinerlei Respekt vor Obrigkeit, Tabus, Institutionen. Berühmt wurde die Truppe im März 1986, als sie das Wilhelm-Hack-Museum stürmte und in einer Blitzaktion auf dem Boden Knochen aus dem Schlachthof zum Schriftzug „Lebende Legenden“ anordnete. Unter diesem Motto hatte man eine Ausstellung geplant, die von der Stadt untersagt worden war. Die Protest-Performance fand damals bundesweit Beachtung. Jetzt feiert das Buero sein 40-jähriges Bestehen.
Politische Stoßrichtung war von Anfang an maßgeblich
Lange Zeit sorgte es in der Region durch ungewöhnliche Aktionen für Spaß, Unruhe und Denkanstöße. Eindrücklich war etwa eine konsumkritische Performance an einem Samstag im Advent 1986. Hundert (!) kostümierte Weihnachtsmänner blockierten die Kassen eines Einkaufsmarktes und brachten den Betrieb ins Stocken. Immer wieder widmete sich die Gruppe mit Ausstellungen und Aufführungen zentralen Themen wie „Essen“ (1997), „Geld“ (1998), „Leerständen“ in Ludwigshafens Innenstadt (2007) oder –noch immer aktuell – nach Nazi-Sympathisanten benannten Straßen (2011).
Von subversiven Protestformen war bei der Jubiläumsfeier des Bueros am vergangenen Wochenende im Ludwigshafener Umspannwerk allerdings nur noch sehr wenig spürbar. Kaum mehr als drei Dutzend Besucher fanden sich ein, die meisten ehemalige Mitglieder und nahe am Rentenalter. Wo früher der öffentliche Raum als Bühne gesucht wurde, wirkte das Ganze nun wie ein privates Veteranentreffen. „Der perfekte Generationenübertritt ist nicht ganz gelungen“, frotzelte Helmut van der Buchholz, einer der Köpfe des Bueros und noch immer unermüdlich aktiv. Mit einem Bananen-Wettessen erinnerte er an die dadaistischen Anfänge der Gruppe, die 1984 bei dem Spektakel „Die absurde Banane“ erstmals in Erscheinung trat.
Die Beweggründe seien seinerzeit in erster Linie die Lust am Herumexperimentieren und das Alles-infrage-Stellen gewesen, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Aber die „drei Probleme: Kohl, Reagan, Thatcher“ hätten schon auch eine Rolle gespielt. Für Billy Hutter, Mitbegründer und Namensgeber des Bueros, war von Anfang an eine politische Stoßrichtung maßgeblich. Diese Tradition würdigte er am Jubiläumsabend gemeinsam mit Su Montoya bei einem Multimedia-Vortrag über den 2018 verstorbenen Buero-Aktivisten Bernd Pfütze, der sich 1967 bei der Berliner APO engagiert hatte, bevor er nach Ludwigshafen kam.
Aus anarchischem Witz, sinnfreiem Klamauk und rebellischer Subversion hat das Buero ganz eigene, phantasievolle Protestformen entwickelt. „Vorbilder haben wir erst im Nachhinein entdeckt“, erzählt van der Buchholz: „Dada Zürich, die Situationisten in Paris und Punk in London“. Dem zollte man Tribut: 1996 erinnerte eine umfangreiche APO-Ausstellung an die Außerparlamentarische Opposition der 1960er Jahre. Und in den 90ern irritierten als „Maodadaisten“ kostümierte Mitglieder bei traditionellen 1. Mai-Feiern das Publikum. Denn Spießer und Kleingeister machte das Performance-Kollektiv nicht nur in den Reihen der CDU aus.
Gleichwohl schwand die Relevanz der einstigen Bürgerschrecks, spätestens nach dem Jahr 2000, wie van der Buchholz einräumt. „Es stimmt schon, früher war mehr Lametta“, meint er. „Die Leute haben Vollzeitjobs und Familien, und der ganze Bewegungs-Elan in der Gesellschaft wurde ja etwas ruhiger.“ Inzwischen sind Veranstaltungen des Bueros Bestandteil des offiziellen Ludwigshafener Kultursommers, sogar das Hack-Museum hat seinen Frieden mit der Truppe gemacht, deren Kunstweltmeisterschaft es kürzlich in seinen Räumen präsentierte.
Was also ist geblieben? Wahrlich nicht alles, was das Buero aktuell hervorbringt, ist substanziell. Aber große Kunst zu schaffen, war auch niemals das Ziel. Es ging viel eher um individuelle Selbstverwirklichung, die Schaffung von Freiräumen für Unkonventionelles. Gleichwohl sind aus dem Buero arrivierte Künstler wie Michael Volkmer und O.W. Himmel hervorgegangen.
Billy Hutter schaffte es 2015 mit seinem Roman „Karlheinz“ bis in die höchsten Höhen der Feuilletons. Und Helmut van der Buchholz haben seine Stadtführungen zu den hässlichsten Stellen Ludwigshafens bundesweit Berühmtheit eingebracht, den „Tagesthemen“ waren sie 2023 gar einen satten Fünf-Minuten-Beitrag wert.
Etwas vom aufrührerischen Ursprungsgeist täte der Stadt gut
Seine „Ugliest City Tour“ ist definitiv geprägt vom subversiven Ansatz des Bueros. Ihrer Tradition treu geblieben ist auch die Stadt Ludwigshafen: Sie hat die finanzielle Unterstützung der Führung – 1300 Euro – in kleingeistiger Manier gestrichen. Angesichts aktueller Themen (Migration, Rechtsruck, Stadtplanung, Arbeitsplatzabbau bei der BASF) hätte die Stadt etwas vom aufrührerischen Ursprungsgeist des Bueros für angewandten Realismus gerade jetzt bitter nötig.
Dass Buchholz ankündigte, man werde den zehnten Geburtstag des Lochs, der Baustelle am Berliner Platz, 2025 gebührend feiern, weckt Hoffnungen. Ausführliche Infos zum Buero gibt es im Netz unter angewandter.de – die Lektüre macht, wen wundert’s, Spaß.
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