Tanz

Wenn in Mannheim bei "Safety Brick" Steine von Körper und Seele purzeln

In „Safety Brick“ im LAB im Jungbusch loten Tänzer Lorenzo Ponteprimo und Choreograph Éric Trottier aus, was der menschliche Körper auszuhalten imstande ist, und erkunden eindrucksvoll einen psychologischen Zwiespalt

Von 
Ute Maag
Lesedauer: 
Lotet im Jungbusch die (backsteinschweren) Herausforderungen des Lebens aus: Lorenzo Ponteprimo in der Soloperformance „Safety Bricks“. © Miriam Stanke

Ziegelsteine taugen als vielfältig einsetzbare Metaphern. Den innerhalb von Mauern Lebenden bedeuten sie Schutz, Sicherheit oder auch Gefängnis, denen draußen Ausgrenzung, schwer überwindliche Hürden oder große Freiheit. Und manchen plumpsten sie schon als symbolische Last vom Herzen. Als Requisiten beim Tanz schienen sie aufgrund ihres Gewichts weniger geeignet - bis am vergangenen Samstagabend Lorenzo Ponteprimo zur Uraufführung von „Safety Bricks“ in den Bühnenraum des LAB im Mannheimer Jungbusch robbte.

In seiner faszinierenden, gut 45-minütigen Performance lotet der laut Selbstbeschreibung „bewegungsbasierte darstellende Künstler“ nicht nur aus, was sein großer, kräftiger, für einen Tänzer eher atypischer Körper auszuhalten imstande ist, sondern erkundet auch eindrucksvoll den psychologischen Zwiespalt zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Drang, überflüssigen Ballast einfach abzuwerfen.

"Safety Brick" im Mannheimer LAB: Heinz-Jürgen Walthers Ausstattung bezieht das Publikum mit ein

Gemeinsam mit Choreograph Éric Trottier hat Ponteprimo seinen 2021 entstandenen Part für „Follow lucky“ zu einem Solostück ausgebaut. Für die Ausstattung sorgt ein langjähriger Weggefährte Trottiers: Heinz-Jürgen Walther, Gewandmeister am Mannheimer Nationaltheater und freier bildender Künstler. Der lässt ein Bühnenbild aus schweren, bunt bemalten Mänteln von der Decke hängen und bezieht das Publikum von Beginn an ins Geschehen ein, indem er jeden Zuschauer bittet, sich in einen weißen Plastikumhang zu hüllen.

Geheime Zeichen darauf, mittels UV-Licht (Licht: Benjamin S. Jantzen) sichtbar gemacht, weisen den Einzelnen als Individuum innerhalb einer Gemeinschaft aus. Dass der Tänzer zu Beginn der Performance den gleichen Umgang trägt, macht deutlich: Der sich da in einer ungeheuren physischen Kraftanstrengung und tief in seiner Seele quält, das könnte jeder von uns sein.

Und wie Ponteprimo sich quält: Die an die 30 schweren Steine, mit Gurten rund um seinen ganzen Körper befestigt, poltern bei jeder Drehung um die Längsachse oder über die Schulter. Sichtbare Schleifspuren auf dem Tanzboden zeichnen die Wege nach, die Ponteprimo schwer atmend vorwärts, rückwärts, rutschend und auf allen Vieren kriechend durch den Raum nimmt. Fast körperlich weh tut es, ihm zuzusehen, wie er versucht aufzustehen. Und als er schließlich stehend und sich drehend entscheidet, Handschuhe und Schuhe auszuziehen, die gut anderthalb Zentner schwere Last zu entgurten und sich aus dem schweißdurchtränkten Neoprenanzug zu schälen, wird seine bemitleidenswerte Schutzlosigkeit und buchstäbliche Nacktheit geradezu schmerzhaft deutlich.

"Safety Brick" im Mannheimer LAB: Performance bleibt noch lange im Kopf haften

Der neu gewonnenen Freiheit und Leichtigkeit nähert der Tänzer sich mithilfe der Säulen an, die eine der Besonderheiten des LAB sind, das Trottier mit Jantzen im vergangenen Jahr als Kooperations-, Trainings- Aufführungshaus eröffnet hat. Akrobatisch, wie an einer Pole, zieht er sich in die Senkrechte, um danach immer freier tanzend und springend zur minimalistischen Musik von Peter Hinz und Steffen Dix den Raum zu erkunden. Ein vollkommenes Loslassen will sich nicht einstellen. Noch immer liegen die Steine in der Mitte des Raums. Ist das Bedürfnis nach Sicherheit doch größer als der Drang nach Freiheit? Licht aus, Ende und begeisterter Applaus für eine Performance, die noch lange im Kopf bleibt.

***

Termine: 16./17.02., 20 Uhr, LAB, Jungbuschstr. 15b, Mannheim.

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke