Mannheim. „Mich interessiert das: Die Dame hat gesagt, das ist ein Kneipenchor?“, wendet sich eine Gästin im Mannheimer Restaurant „Paprika“ an David Julian Kirchner. Der Musiker bestätigt das und beginnt, von seinem Theken-Chor - so lautet der offizielle Name des Projekts - zu erzählen. Am Donnerstag hat er mit dem Projekt das Testival-Festival auf Spinelli eröffnet.
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„Wir treffen uns immer donnerstags um 19 Uhr“, sagt er, der zeitliche Turnus ist fix, der Ort wechselt. Man kann sich über den E-Mail-Verteiler dazu aktuell informieren lassen: „thekenchor-mannheim@gmx.de“, diktiert ihr Kirchner die Adresse. „Und was singt ihr so?“ „Wir haben ein gewisses Maß an Arbeiterliedern“, führt er aus - Klassiker wie die „Internationale“ oder „Brüder, zur Sonne“, daneben „aber auch Popsongs aus allen möglichen Dekaden“, vom Michael-Holm-Schlager bis zur Münchner Freiheit und weiter zu Punk-Stücken. „Und seit wann gibt’s euch?“ „Jetzt etwa ein Jahr.“
Kirchner ist es wichtig, „in die Stadt rein zu arbeiten“
Seitdem ist der Chor Teil eines gesellschaftspolitischen Gesamtkunst-Überbaus namens IG Pop. „Soziale Plastik“ hat Kirchner in Anlehnung an Joseph Beuys das mit dieser Pop-Gewerkschaft verknüpfte solidarische Programm genannt, zu dem neben dem Theken-Chor etwa auch die IG-Pop-Band (in der wiederum auch Chor-Mitstreiter Thilo Eichhorn spielt) und die inklusive Formation Das Büro zählt.
David Julian Kirchner
- Der Musiker, Autor und Aktionskünstler David Julian Kirchner wurde 1982 in Mainz geboren. Er studierte zunächst klassische Gitarre in Wiesbaden und wechselte dann an die Popakademie Baden-Württemberg nach Mannheim, wo er sein Popmusikdesign-Studium absolvierte.
- In Mannheim gründete er auch das Musik-Kunstkollektiv Kirchner Hochtief, mit dem er 2018 das Album „Evakuiert das Ich-Gebäude“ veröffentlichte.
- 2022 erschien sein zweiter Langspieler „IG Pop“ zur gleichnamigen, von ihm gegründeten Pop-Gewerkschaft.
- In Zusammenhang mit seinen Projekten erschuf er auch diverse Kunstfiguren wie den Gewerkschaftsführer Georg Renfranz oder den Showmaster, Sänger und Disjockey Ivory Carrera.
- Der Theken-Chor trifft sich jeden Donnerstag um 19 Uhr, der Ort wechselt. Infos unter www.davidjuliankirchner.de. mav
„Pop für alle“ lautet dabei die Maxime, es gehe darum, „Popkultur, Popmusik für jedermann“ oder auch „barrierefreien Pop“ anzubieten, erläutert Kirchner. Geplant sei in diesem Zusammenhang auch ein Rentner-Party-Format mit Gastgeber Ivory Carrera (eines von Kirchners kunstfigürlichen Alter Egos), das unter dem Titel „Bingo und Likörchen“ firmieren soll, kündigt er im Gespräch mit dieser Redaktion an, das wir kurz vor Beginn der Singstunde führen.
Um bei alledem nicht die Übersicht zu verlieren, bietet sich ein kleiner Rückblick an: David Julian Kirchner kam vor 15 Jahren von Mainz nach Mannheim, um an der Popakademie zu studieren. Und er blieb nach seinem Abschluss. Mannheim sei eine ambitionierte Kulturstadt, das glaube er schon, meint der heute 41-Jährige. Gleichzeitig sei „das Phänomen spürbar“, dass zwar so viele Leute hierherkommen - Stichwort Popakademie -, dann aber all die Kompetenz, die sie vor Ort erwerben, „einfach wegtragen“. Früher gingen Musikschaffende klassischerweise etwa nach Berlin, inzwischen vielleicht vorrangig nach Leipzig. Gerade deshalb findet Kirchner es so wichtig - womit wir zurück beim Theken-Chor wären - „in die Stadt rein zu arbeiten“, zu schauen, „wo kann ich hier was machen“.
Es geht auch darum, das Kneipenleben zu beflügeln
Mit dem Sänger, Songschreiber und Gitarristen hat Mannheim einen äußerst umtriebigen Künstler gewonnen. Hier gründete er zunächst das subversive Musik-/Konzern-Kollektiv Kirchner Hochtief, mit dem er 2018 das Album „Evakuiert das Ich-Gebäude“ veröffentlichte, später dann eben auch die Pop-Gewerkschaft IG Pop, die 2022 einen Langspieler veröffentlichte.
Derzeit plant er, sogenannte „Reworks“ - also Remixe - seiner bisherigen Veröffentlichungen herauszubringen, was unter dem Titel „re-me“ und in Kooperationen mit illustren Akteuren wie Dirk Mantei (bekannt als Dman), Popakademiker Ziggy Hazardeur oder auch dem jüngst verstorbenen „Electrokraut“-Künstler Rainer Buchmüller (alias Fred und Luna) geschieht. Zum Auftakt dieser achtteiligen EP-Reihe ist die Produktion „Ich-Gebäude: Besetzt“ im vergangenen Juni erschienen.
Aber zurück an den Restauranttisch: Beim Theken-Chor geht es auch darum, das Kneipenleben in der Stadt zu zeigen und zu beleben. Er wolle genauso in die Vorstadtviertel damit gehen, ihn interessiere „das Spannungsfeld zwischen Stadt und Land“ - siehe auch Kirchners SWR-Doku-Reihe „DeutschRand“. Die Gesangsgruppe schafft einen Raum für ein „konstruktives Zusammenkommen“, mit dem Singen als kleinstem gemeinsamen Nenner.
Gesangsgruppe wächst und ist „unfassbar divers“
Insgesamt 150 Menschen umfasst die Chorbelegschaft, der feste Kern liege bei 20 bis 25. „Das ist eine stetig wachsende Geschichte“ und „eine unfassbar diverse Gruppe“, konstatiert Kirchner. Es gebe viele sehr junge Sängerinnen und Sänger, die älteste gehe auf die 80 zu. Carmen ist schon seit Juni 2023 dabei, „ich bin eigentlich Gründungsmitglied“, sagt die Mannheimerin. Ihr gehe es darum, „Anschluss zu finden, mit Leuten sich zu treffen“ - beim Chor komme man in den Pausen oder im Anschluss ins Gespräch. Ihr Favorit beim Chorprogramm ist übrigens „Papierkramland“ - ein Stück aus dem „IG Pop“-Album.
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