Jim-Knopf-Debatte

Warum es in Michael Endes "Jim-Knopf"-Büchern auch künftig Änderungen geben könnte

Die Debatte um einige Veränderungen im Kinderbuchklassiker und Bestseller von Michael Ende sind aus mehreren Gründen scheinheilig - und über Jim Knopfs Frauenfeindlichkeit wurde noch gar nicht so recht diskutiert

Von 
Fabian Oppel
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Auch künftig wohl kaum vor inhaltlichen Eingriffen sicher: die beiden „Jim Knopf“-Bücher von Kinderbuchautor Michael Ende aus den 1960er Jahren. © Bernd Settnik/dpa

Wieder einmal gibt es Aufregung um die zwei „Jim Knopf“-Romane. Seit Jahren stehen Rassismus-Vorwürfe dem Cancel-Culture-Verdacht gegenüber. Insbesondere der Rassismus-Vorwurf sei in den letzten Jahren so dominant gewesen, „dass alles andere, was das Werk auszeichnet, gar keine Rolle mehr zu spielen schien“, erklärte Verlegerin Bärbel Dorweiler neulich der „Zeit“.

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In Rücksprache mit den Erben überarbeitete der Verlag nun Text und Illustrationen aus Michael Endes Klassikern von 1960 und 1962. Unter anderem wird das N-Wort, das insgesamt einmal fiel, gestrichen, Figuren verschiedener Ethnien weniger klischeehaft beschrieben, Jims Lippen sind nicht mehr dick und rosa. Die Ausgaben mit den ursprünglichen Original-Illustrationen bleiben laut Verlag lieferbar und sollen ein einordnendes Nachwort enthalten.

Auf dem Rücken der Kinderbücher

Nur am Rande ist tatsächlich „Jim Knopf“ Thema der Debatte. Auf dem Rücken der Romane trägt sich eine Kontroverse aus, wie man mit dem staubigen Erbe der Nachkriegszeit umgehen soll. Die Kinderbücher wurden dabei in den diskursiven Schwitzkasten genommen.

Das Filmset von «Lummerland» aus der Kinofilmproduktion «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer», aufgenommen am 13.04.2017 in Potsdam (Brandenburg) im Filmpark Babelsberg. Die von König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte regierte Insel Lummerland liegt in Babelsberg: Staatssekretär Kralinski eröffnete am Donnerstag mit Oberbürgermeister Jakobs (SPD) das Filmset als neue Attraktion des Filmparks Babelsberg. © Bernd Settnik

Die Debatte entspinnt sich zwischen zwei Polen. Der eine will heute problematische Darstellungen wie das N-Wort nicht mehr wiederholen. Er will die Romane heute Kindern vorlesen können, ohne das lästige Schleppnetz historischer Umstände bedenken und erklären zu müssen. Der konservierende Gegenpol pocht darauf, dass kulturelle Dokumente im Kontext ihrer Entstehungszeit verstanden werden müssen. Hier wäre der Anspruch, das Buch als historisches Artefakt zu bestaunen. Beide Seiten haben gute Gründe. Aber sie wollen eben vollkommen unterschiedlich mit dem Text umgehen, sodass ein Kompromiss immer nur halbgar ist und erneut Kritik aus beiden Seiten nach sich ziehen würde.

Seit 1981 kein Originaltext mehr

Die Empörung der konservierenden Seite über die Änderungen ist besonders scheinheilig. Welche Textgestalt wäre denn die originale? Der Text hat sich im Laufe der Zeit mehrfach verändert. So ist in den ganz frühen Ausgaben noch von China die Rede, an das Jim und Lukas stranden. Ab 1981 heißt das Land Mandala. Dies sei auf Wunsch Endes geschehen, der sich mit der politischen Situation im echten China laut Verlag „nicht identifizieren“ konnte.

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2011 schrieb die „FAZ“, Ende sei wegen der chinesischen Staatspolitik in den 1970ern unter gesellschaftlichen Druck in Deutschland geraten und habe ihm schließlich mit der Umbenennung nachgegeben. Auch die Sehorgane der mandalanischen Bevölkerung wurden nicht immer als „Mandelaugen“ beschrieben. Spätestens in der Ausgabe von 1990 findet sich die Vokabel als Ersatz für einen heute ebenfalls rassistisch verstandenen Ausdruck. Dass jetzt weitere Änderungen vorgenommen wurden, ist vor diesem Hintergrund konsequent und konsistent.

Dass sich Texte im Laufe der Zeit ändern, um weiterhin den Ansprüchen der Leserschaft zu entsprechen, ist auch kein neues Phänomen. Viele Klassiker der Kinderliteratur durchlaufen diesen Prozess, so dass es mit zunehmendem Alter immer mehr Versionen gibt. Thienemann hat sich entschieden, „Jim Knopf“ für heutige Kinder erzählbar zu halten. Die Klassiker seien, wie Verlegerin Dorweiler erzählt, eine wichtige Säule für den Verlag, nicht nur finanziell - aber eben auch finanziell.

Die Marionetten (l-r) Scheinriese Tutur, Lukas und Jim Knopf stehen am 26.02.2014 in Augsburg (Bayern) im Puppenkistenmuseum mit der zerstörten Lokomotive Emma in einem Wüstenszenario. Das Buch von Michael Ende, das als Vorlage diente, war auch bei Prominenten in der Kindheit beliebt. © Stefan Puchner

Die heute problematischen Stellen in den Büchern lassen sich allerdings wohl nicht mehr lange durch reinen Vokabel-Tausch übertünchen. Ein hochproblematischer Aspekt, der sich noch immer in den „Jim Knopf“-Romanen findet, ist die Rolle der Frau - und der scheint in der Debatte um die Zeitgemäßheit des Kinderbuchs gar nicht aufzutauchen. Stattdessen hat sich die Kontroverse im Rassismus verbissen.

Chauvi-Jim wurde übersehen

Nehmen wir Prinzessin Li Si. Sie ist die Tochter des mandalanischen Kaisers, wird von der Piratenbande „Die Wilde 13“ geraubt, an den Drachen Mahlzahn verkauft und von Jim und Lukas aus der Drachenstadt befreit. Das aufgeweckte Mädchen, das im Verlauf der Geschichte noch über „leider einen furchtbar starken Widerspruchsgeist“ verfügt und sich über Vorschriften von Vater und Hofdamen hinwegsetzt, wird im Umgang mit Jim erstaunlich unterwürfig. Als Belohnung für die Befreiung darf Jim sie zur Frau nehmen. Die Frage, wann die Hochzeit stattfinden soll, beantwortet die Prinzessin „ein wenig rot (…) mit ihrer Vogelstimme: „Das muss Jim bestimmen.“ Auf dessen Überforderung mit der Frage reagiert sie nur mit dem Niederschlagen der Augen und einem Kopfschütteln.

Neue Auflagen der Kinderbücher über Jim Knopf liegen im Verlag. Die Kinderbuchklassiker über den Jungen Jim Knopf sollen künftig ohne rassistische Sprache auskommen. In Abstimmung mit dem Erben des Autors Michael Ende seien die Neuausgaben geändert worden, weil einige Passagen aus heutiger Sicht als rassistisch empfunden werden könnten. © Bernd Weißbrod

Dieses Rollenverständnis der Frau zieht sich durch die Geschichte. Zur Verlobung schenkt Jim ihr „ein kleines, zierliches Rubbelbrett zum Wäschewaschen“, worüber sich die Prinzessin „riesig“ freut. Jims chauvinistische Züge treten ebenfalls zutage: Zu Beginn des zweiten Bandes kann Jim sich „nicht so recht damit abfinden“, dass Li Si die meisten Partien verschiedener Gesellschaftsspiele gegen ihn gewinnt, „noch lieber hätte er sie gemocht, wenn sie nicht immer so gescheit gewesen wäre. Er hätte sie ja sogar ab und zu gewinnen lassen“.

Im Schatten der Aufregung um das getilgte N-Wort unbemerkt wurden besonders üble Chauvi-Stellen bereits verändert: Jim soll endlich Lesen und Schreiben lernen - in der alten Ausgabe mit der Begründung: „Ich möchte eben, dass mein Bräutigam nicht nur mutiger ist als ich, er soll auch viel klüger sein, damit ich ihn bewundern kann“. In der neuen Ausgabe dann, weil Jim seiner Verlobten Briefe schreiben soll. In der neuen Ausgabe lernt Li Si außerdem - statt den Haushalt zu führen - nun Kuchenbacken und Frau Waas’ Laden zu führen. Wenigstens ein kleiner Schritt in Richtung Emanzipation.

Der noch immer auffindbare Chauvinismus bleibt ein Problem im heutigen Gesellschaftsverständnis. „Die Zeichnung der Geschlechterrollen ist ein ganz und gar peinlicher Zug dieses Werks, der auch mit dem Argument der Zeitgebundenheit nicht entschuldigt werden kann“, stellt der langjährige Direktor des Frankfurter Instituts für Jugendbuchforschung, Hans-Heino Ewers, in seinem Buch „Michael Ende neu entdecken“ (2018) fest.

Es geht an die Substanz

Wenn dem Thienemann-Verlag also daran gelegen ist, den „Jim Knopf“ weiterhin an das gesellschaftliche Selbstverständnis anzupassen, waren die jüngsten Textänderungen wohl nicht die letzten. Vielmehr wird es wohl bald darum gehen, weitere sexistisch verstehbare Passagen zu tilgen - und damit ganze Motivstränge aus der Geschichte zu nehmen, ihr also an die Substanz zu gehen. So wird „Jim Knopf“ mehr und mehr zu einem kulturellen Monument der Adenauer-Ära.

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