Musiktheater - Zum ersten Mal übertragen die Bayreuther Festspiele live eine Oper ins Kino - auch in das Mannheimer Cineplex

Wagner und Freiheit für alle

Von 
Anna Schweingel
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Wagnerfreunde und Wagnerfreuden mit Stefan Herheims Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung im Cineplex-Kino auf den Planken.

© Tröster

Der Weg zu Wagner führt über Sambamusik. Es ist Christopher Street Day in Mannheim, Tausende sind auf der Straße und feiern. Daran kommt man nicht vorbei, wenn man zum Mannheimer Kino Cineplex auf den Planken radelt, eines von hundert, in dem zum ersten Mal eine Wagner-Oper aus Bayreuth live übertragen wird.

Es ist Sommer, es ist heiß, aber 226 Menschen haben sich entschlossen, ins Dunkle zu gehen, um sechs Stunden, inklusive zwei langer Pausen, den "Parsifal" anzusehen. Ins Dunkle? Wagner war es, der den Zuschauerraum verdunkelte, um den Zuschauer in ein "dämmerndes Wähnen" zu versetzen, mit Blick auf die Bühne gleichsam als eigenen Innenraum.

Bequem im Sessel

Aber zu Beginn des Vorspiels bleibt das Licht im Kinosaal an, gleißendes Purpur, das zwar an den später zu sehenden Gralskelch erinnert, aber doch irritiert, bis einer ruft: "Können Sie das Licht ausmachen?" Es geht los; man kann es sich behaglich machen in gepolsterten Sesseln und weiß, dass man zwar nicht auf dem Grünen Hügel sitzt, dafür aber bequem. Oder würde man die Abgründe der menschlichen Seele, die Geschichte von Suche, Leid und Erlösung in der Inszenierung von Stefan Herheim, auf den Bayreuther Holzsesseln anders wahrnehmen? Jeder hat seinen eigenen Innenraum, zeigt sich in den Pausen. Die Erwartungen und Erfahrungen bestimmen auch den Blick auf das Gesehene.

Eine ältere Dame fühlt sich durch die Hakenkreuz-Fahnen im zweiten Aufzug an eine Zeit erinnert, an die sie nicht erinnert werden möchte.

Eine andere reflektiert ihr Entsetzen über diese Inszenierung, die mit der Anlehnung an die politische Geschichte Deutschlands so anders ist als die, die sie als junges Mädchen begeistert habe: "Ich bin nun eben die alte Generation. Fragen Sie mal die jungen Leute."

Es sind nicht viele unter fünfzig da. Einer findet "die Geschichte ziemlich langweilig, die Musik gibt wenig her, es ist zum Teil schlecht gesungen und vom Ton im Kino bin ich auch enttäuscht." Aber die Expertin sei seine Freundin, sie sei Musikerin. Also? "Die Musikerin ist im ersten Akt eingeschlafen." Dämmerndes Wähnen? Die meiste Aufregung gibt es, als in einem der beiden Kinosäle im dritten Akt minutenlang der Ton ausfällt.

Keine rechte Festspielstimmung

Während der Pausen gibt es zwar weder Schampus noch Lachshäppchen, aber vor Erklärungen zu Orchestergraben und Kulisse immerhin einen Sektempfang und Würstchen. Das Kino hat sich auf die Operngäste extra eingestellt; es gibt sogar einen Liftboy.

So richtige Festspielstimmung will dennoch nicht aufkommen. Mannheim zeigt sich eher normal als aufgebrezelt und aufgekratzt, und das entspricht vielleicht auch dem Gedanken Richard Wagners, "dass Wagner möglichst viele sehen sollen", wie seine Urenkelin Katharina in der Pause erläutert. Für knapp dreißig Euro ist man dabei und bekommt gratis noch die Werbung eines Autoherstellers dazu, direkt vorm zweiten Akt.

Es gibt auch positive Stimmen. Zuschauer, die extra wegen dieser Inszenierung gekommen sind oder wegen der Möglichkeit, eine Oper aus Bayreuth zu sehen. Jene, die seit 30 Jahren versuchen Karten für Bayreuth zu bekommen, und solche, die jedes Jahr nach Bayreuth fahren.

Eine junge, sehr versierte Besucherin zeigt sich begeistert von der Inszenierung. In der richtigen Oper habe man die Musik zwar "um sich drumrum, hier nur von vorne", außerdem sei es gewöhnungsbedürftig, über die Kameras den Blick geführt zu bekommen, aber es sei großartig, live dabei zu sein, wenn in Bayreuth gespielt wird.

Dickes Lob bekommt von ihr Mannheims Bariton Thomas Jesatko, der auch in diesem Jahr wieder den Klingsor verkörpert. Sie schwärmt von seinem Ausdruck in Spiel und Stimme: "Wahnsinn!"

Nach sechs Stunden ist die Wagner-Welt erlöst, der letzte Ton gespielt. Während die Kino-Opernbesucher nach Hause gehen, werden auf der Straße schon die Reste des CSD zusammengekehrt. Die Stadt ist übersät mit Flyern politischer Parteien. Darauf steht "Ich bin frei!". Hat das Opernkino nach draußen diffundiert oder andersherum?

Freie Autorin

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