Junge Talente - Mariana Chacín, Piccolo-Flötistin der Mannheimer Bläserphilharmonie, hat schon harte Zeiten gemeistert

Völlige Hingabe an die Musik

Von 
Anna Schweingel
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Hat beim Simón Bolivar Jugendorchester schon mit Stars wie Claudio Abbado gespielt: Mariana Chacín.

© Rinderspacher

Wenn auch bei der Flötistin Mariana Chacín großmütterliche Unterstützung den Ausschlag gab, ist es offensichtlich nichts Besonderes, dass ein Kind in Venezuela zur klassischen Musik findet. Mariana Chacín bekommt früh Anschluss in den "Núcleo", den Keimzellen des venezolanischen Systems der Musikvermittlung: El Sistema. Das Prinzip ist einfach. Da, wo Kinder sind, spielt die Musik. Also überall. Kleine Gruppen, in Wellblechhütten, neben Müllhalden, in den Städten.

Die Instrumente werden gestellt, von Anfang an wird im Orchester gespielt. Die Großen geben an die Kleinen weiter, was sie gelernt haben. Und worüber man aus europäischer Perspektive nur staunen kann, ist dort normal: Das Mädchen Mariana dirigiert und hat ein eigenes Ensemble. Musik gehört allen, die es wollen. El Sistema ist ihre Welt, ihr Leben, ihre Familie. Jeder kann dazugehören, der sein Talent innerhalb des Systems weitergibt. Das wird später ein neuralgischer Punkt werden im Leben von Mariana Chacín.

Sie wächst weiter in El Sistema hinein und spielt schließlich auch im Simón Bolívar Jugendorchester - dem berühmtesten Vertreter von El Sistema. Sie bereist ganz Südamerika und die USA, spielt unter Claudio Abbado und Simon Rattle. Wenn sie unzufrieden sind mit der Generalprobe, üben die jungen Musiker nochmals nachts von zwei bis vier. Mariana Chacín unterrichtet für El Sistema, sie trägt zum Einkommen der Familie bei. Nur ist sie, wie sie sagt, "leider" sehr gut in der Schule und beginnt aus Verlegenheit und Vaterliebe ein Medizinstudium. In einem Land, in dem Ärzte weniger verdienen als Musiker, ist das keine wirklich glückliche Wahl.

Zum Studium nach Mannheim

Bei einem Projekt hört sie ein Flötist der Berliner Philharmoniker und sie bekommt ein Stipendium für ein Musikstudium in Caracas. Aber in Venezuela sind die Studienmöglichkeiten begrenzt. Dann kommt die Chance für einen großen Schritt. Zwei Empfehlungen, ein Vorspiel, und sie kommt nach Mannheim und kann dort bei Jean-Michel Tanguy studieren. Sie wird von El Sistema unterstützt, mit der Vereinbarung, dass sie nach dem Studium zurückkommt in ihre Heimat.

Was aber, wenn das Können über El Sistema hinausgeht? Ihr Entschluss, noch weiter in Deutschland zu studieren, widerspricht dem System des Systems; sie lädt Zorn auf sich, was sie versteht.

So sitzt sie dann 2011 in Mannheim. Ohne Familie, ohne Geld, und in der Nachbarschaft hörte sie Schießereien, die sie an Caracas erinnern. Mariana Chacín erzählt ihr Leben, als würde sie es selbst von außen betrachten. Es scheint, als würde sie Härten schlicht durchstehen. Wenn sie an einem Tag wenig isst, denkt sie an ihre Schüler in Venezuela, die vielleicht heute gar nichts essen. Wenn bei einem Wettbewerb die Gold-Flöten im Scheinwerferlicht blitzen, schaut sie genau hin, was sie von dem 18-Karat-Musiker lernen kann. Sie freut sich, dass sie auf der Straße mit dem Handy telefonieren kann, ohne dass es ihr gestohlen wird. Sie wundert sich über die Termine ihrer Flötenschüler: Judo oder Tanztherapie, wo doch in Venezuela die Musik den Kindern alles gibt. Aber sie findet das schön. Sie mag Deutschland und das Leben hier: "Wenn meine Eltern hier wären, wäre Deutschland perfekt." In dem Tief vor zwei Jahren fand sie Freunde und Hilfe in der Mannheimer Bläserphilharmonie und später im multikulturellen Projekt WIR!.

Sie genießt es, wieder Teil eines großen Klangkörpers zu sein und auch etwas von ihrer Erfahrung an andere weiterzugeben. El Sistema in Mannheim. Mariana Chacín hofft auf eine Stelle in Deutschland, der Schweiz oder Japan, wenn sie mit ihrem Studium dieses Jahr fertig ist. Um weiter zu lernen: "Lernen kostet kein Geld, nur Konzentration". Um Geld zu verdienen, damit sie ihre Eltern und Schüler in Venezuela finanziell weiter unterstützen kann. Und um, wenn es eines Tages so sein soll, wieder zurückzugehen in ihre Heimat und: ihr Können weiterzugeben.

Freie Autorin

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