Völlig losgelöst von der Erde schweben sie durchs All und reden über ihre Zukunft. Ein Zwiegespräch über Rock ‘n’ Roll, Exzess, Musik, Genese: David Bowie erfindet sich als Ziggy Stardust neu, die Geschichte vom Aufstieg und Fall seiner Kunstfigur kann beginnen. Viele Seiten später, nachdem Ziggy Stardust alles für ihn getan hat, fängt ihn David Bowie rabiat wieder ein vom ruhmreichen Zustand kreativer Schwerelosigkeit, eine bizarre Science-Fiction-Saga geht zu Ende. Der Pop-Gott entscheidet über Leben und Tod des von ihm geschaffenen Wesens. So ist das Business.
In surrealen, farblich explodierenden Bildern rahmt der Comic „Bowie: Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“ einen Hauptstrang seiner Erzählung über einen Künstler, der künstliche Existenzen fast am Fließband entwirft, um sich mit ihnen austoben zu dürfen – wie sich hinter ihnen verstecken zu können. Major Tom, Thin White Duke, Halloween Jack, Aladdin Sane – ein Mann mit vielen Eigenschaften: Musiker, Schauspieler, Produzent, Gesamtkunstwerk. Schon David Bowie ist die erste Großtat von David Robert Jones, als der Bowie am 8. Januar 1947 in London geboren wird.
Diesem Phänomen des steten Wandels einer Person erstmals in einem Comic nachzugehen, ist eine ambitionierte Aufgabe, der sich der Fan Michael Allred, seine Frau Laura sowie Steve Horton mit großer Begeisterung gewidmet haben. Sie zeigen den langen Weg zum Ruhm, denn die frühen, zahlreichen Versuche als Musiker und Schauspieler in den 1960er Jahren floppen allesamt. Erst Ziggy Stardust macht ihn zum Glam-Rock-Pionier und Weltstar.
Mit schnellen Szenenwechseln und flexiblen, maximal verdichteten Panels, kurzen Dialogen und knappen Erklärungen geht es rasant durch das Leben, ohne dabei vermeintlich abseitige Episoden und Anekdoten auslassen zu wollen (Stichworte: Haare, Augenbrauen, Kostüme), die wiederum ihren Teil zum besseren Verständnis dieses facettenreichen Kunstproduzenten (und -produkts) beitragen.
Schrille und stimmige Details
Bowie, am 10. Januar 2016, zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag an Leberkrebs gestorben, ist als eklektischer Arbeiter zu sehen, der alles für den Erfolg tut, der nimmt, was er nur kriegen kann, der kopiert und adaptiert, fantasiert und konstruiert, kalkuliert und vermarktet. Als der Erfolg nach und nach kommt, regnet es im Comic erst Sterne, während er mit Marc Bolan den Song „The Prettiest Star“ aufnimmt, dann ist im Schaufenster ausgestellt, was an eigenen, mannigfachen Charakteren so vorzeigbar ist, irgendwann allerdings verschwimmen die natürlichen Grenzen künstlicher Werte. Bevor sich Bowie in einem Alter Ego verliert, schafft er ein neues. Ganzseitige Collagen deuten an, was noch passiert mit ihm und durch ihn nach dem Abschied von Ziggy Stardust. Aufbereitet alles im Stil der Zeit: Pop Art trifft Superhelden-Comic trifft Space-Age-Ästhetik.
Die Retro-Kulisse ist passend gewählt, sie spielt mit Verweisen und Zitaten und schafft schrille, bunte, bis ins Detail stimmige Tableaus. Das ist selbstverständlich auf Dauer ziemlich penetrant, wie es auch die ikonischen Motive als Massenware sind. Doch konsequent umgesetzt ist die extravagante Biografie in ihrer poppigen Einheit von Inhalt und Form allenthalben: als Superhelden-Verehrung ohne Wenn und Aber.
Und Superhelden leiden dann auch nach alter Definition still, zeigen ihre Schwächen ungern bis gar nicht und machen immer eine gute Figur. Sie umgeben sich notgedrungen mit anderen Superhelden, weshalb im Bowie-Comic kaum welche ausgelassen werden – selbst diejenigen nicht, die mehr zufällig bei einem Konzert oder einer Party auftauchen. Namen? So viel Platz ist leider nicht mehr.
Einflussreicher Popkünstler lebte zwischenzeitlich in West-Berlin
- Der Musiker, Produzent, Sänger und Schauspieler David Bowie wurde als David Robert Jones am 8. Januar 1947 in London geboren und starb am 10. Januar 2016 in New York.
- Bowie, dessen Karriere mehr als fünf Jahrzehnte andauerte, gilt als einer der einflussreichsten Popkünstler seiner Zeit. Er trat unter mehreren Alias auf, neben David Bowie auch als Ziggy Stardust.
- 1996 wurde Bowie in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen, der Rolling Stone listet ihn – freilich innerhalb des Pop – auf Platz 39 der „100 größten Musiker“ sowie auf Platz 23 der „100 größten Sänger aller Zeiten“.
- In Berlin erinnert eine Tafel am Gebäude Hauptstraße 155 an den Sänger, der Mitte der 1970er Jahre in West-Berlin lebte und dort auch sein Album „Low“ fertigstellte. (seko)
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