„Was mit den Rembrandts geschah, weißt du ja selbst“, schrieb Eleonora von Mendelssohn 1948 an den Kunsthändler Christoph Bernoulli, „nicht einmal Justi hat es damals gemerkt, als ich ihm im roten Zimmer die Kopien zeigte. Sie hingen dort, wo die Originale gehangen hatten, und er stand in Verzückung davor. Niemand kann mir einreden, dass das, was Justi nicht gemerkt hat, diese Kaffern von Nazikommissären je entdeckt hätten.“ Vielleicht hat die Verwechslung bis heute niemand bemerkt.
Ludwig Justi, der Mann, der sich Kopien für Originale vormachen ließ, war Direktor der Berliner Nationalgalerie – und ein Bekannter des Berliner Bankiers Robert von Mendelssohn. 1933 tauschte Tochter Eleonora die Rembrandts in der Familienvilla durch Kopien aus, um die Originale in Sicherheit zu bringen. Nach einer langen Reise ist eines der Gemälde, ein Bildnis der Hendrickje Stoffels, im Frankfurter Städel ausgestellt. „Einiges scheint dafür zu sprechen, dass im Städel eine Kopie hängt“, sagt der Vorsitzende der Moses-Mendelssohn-Stiftung, Julius Schoeps. „Das ist eine Vermutung, der nachgegangen werden sollte.“
Auf diese Idee sind die Spanierin Carmen Pérez Torrecillas und ihr Mann, der Italiener Simone Botteri, gekommen, die über das Gemälde forschen. Botteri ist ein Nachfahre von Michele Gordigiani, dem mutmaßlichen Kopisten. Im Februar 2018 traf sich das Paar mit dem stellvertretenden Museumsdirektor Jochen Sander. Seitdem zögert das Städel die Analyse hinaus.
Robert von Mendelssohn, ein Ururenkel Moses Mendelssohns, erwarb die „Hendrickje Stoffels“ 1905, um sie in seinem Haus auszustellen, wie sich später der Cellist Gregor Piatigorsky erinnert. Der Hausherr war mit Giulietta Gordigiani verheiratet, der Tochter des Malers Gordigiani. Bei einem seiner Besuche in Berlin – zwischen 1905 und 1909 – kopierte er die „Hendrickje Stoffels“ und ein „Selbstbildnis im Pelz mit Kette und Ohrring“. Wahrscheinlich war es seine Liebe zu Rembrandt, vielleicht auch der Wunsch der Tochter, einen Platzhalter zu haben, wenn die Originale für Ausstellungen verreisten.
Dublette zum Schutz vor NS-Raub
Als solche dienten die Kopien auch, als Robert von Mendelssohns Erben – seine Witwe Giulietta und die Kinder Eleonora und Francesco – beschlossen, die Originale am 1. Januar 1933 im Bankhaus Mendelssohn & Co. in Berlin zu lagern. Nur wenig später, im Mai oder Juni 1933, ließ Eleonora die Rembrandts aus dem Tresor holen, um sie vor den Nazis zu schützen. In der Villa tauschte sie die Bilder aus und schmuggelte die Originale nach Basel, wo sie der Kunsthändler Bernoulli bei der dortigen Handelsbank einlagern ließ.
Danach geschahen zwei merkwürdige Dinge: Im September 1934 kündigte das „Burlington Magazine for Connoisseurs“ die Ausstellung der „Hendrickje“ in der Den Haager Bachstitz-Galerie an – ob zum Verkauf oder zu Werbezwecken, lässt sich heute nicht mehr ermitteln, genauso wenig, ob hier das Original oder die Kopie ausgestellt wurde.
Die zweite Merkwürdigkeit datiert auf den 20. April 1938, als die Rembrandts nach Berlin zurückkehren. Eleonora machte ihre Mutter für die Rückführung verantwortlich. „Erinnere sie bitte daran,“ schrieb sie im Februar 1948 an Bernoulli, „dass ich alle diese Bilder vor dem Zugriff der Nazis ins Ausland gebracht hatte; dass sie, sie allein, diese Bilder wieder zurückgeschleppt hat.“ Das, obwohl „diese Kaffern von Nazikommissären“ niemals darauf gekommen wären, dass die Rembrandts im Depot der Bank durch Kopien ersetzt worden waren.
Im April 1942 ergibt sich Giulietta von Mendelssohn und verkauft die „Hendrickje“ an Hitler. Giuliettas Mittelsmann beim Verkauf, Richard Lange, stellte in einem Brief später klar: „Diese Verkäufe sind nur vorgenommen worden, weil seitens der hiesigen Stellen der dringende Wunsch für die Übernahme der Bilder bezw. (sic!) des Grunewald-Objektes bestand.“
Nach dem Krieg stritten die Erben um die Rückerstattung – vergeblich. 1967 übergab der Bund das Gemälde dem Städel als Dauerleihgabe. Dort schaute sich Kunsthistoriker Horst Gerson die „Hendrickje Stoffels“ an und befand, das Bild sei eine Nachahmung aus dem 19. Jahrhundert. Die Welt hatte einen Rembrandt weniger – bis ihn ihr ein anderer Experte, Ernst van de Wetering, 2011 zurückgab. Klug argumentierend wies er Zweifel zurück und erklärte das Bild zu einer „Beleuchtungsstudie“ Rembrandts. Nur dass es mit „Rembandt“ – mit fehlendem R – signiert wurde, konnte er sich nicht erklären.
Analyse frühestens 2021
Mit der Frage allerdings, ob es sich bei dem Gemälde um eine Kopie handeln könnte, beschäftigten sich weder Gerson noch van de Wetering. Auf die Idee kamen erst Botteri und Pérez Torrecillas, weil sie wussten, dass es eine solche gibt. Anders als beim zweiten Gemälde, das Gordigiani kopierte, fehlt im Falle der „Hendrickje“ jede Spur vom Duplikat – oder vom Original.
„Endlich gute Nachrichten aus Frankfurt“, schrieb 2018 Sander. Im Frühjahr 2019 werde das Städel über einen Apparat zur Röntgenfluoreszenzanalyse verfügen. Damit wolle er „alle unsere Rembrandt-Gemälde“ untersuchen, „mit der Hendrickje werden wir anfangen“. Mit der Analyse lassen sich die Farben ermitteln – und sich feststellen, wann das Bild gemalt wurde. Doch Sanders Enthusiasmus ist verflogen. An die Kopie mag er nicht glauben. Und um schnelle Aufklärung ist er nicht bemüht. Vor 2021, erklärt er auf Anfrage, könne er das Bild nicht analysieren lassen.
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