Schön, wenn sich die Bühne des Theaters in ein Märchenland verwandelt, denn verzaubern lassen wir uns alle gern. Besonders, wenn es so skurril und grotesk, so absurd und gleichwohl charmant zugeht wie in der 1921 in Chicago uraufgeführten „Liebe zu den drei Orangen“ Sergej Prokofjews. Die hatte er im Ausland komponiert, ohne Furcht vor revolutionären Unruhen im Heimatland und frei von ideologischen Einengungen, die ihm später in Russland zusetzten. Entsprechend farbig gelang die Musik, vom rhythmischen Puls beflügelt, vom Raffinement der Instrumentation getragen und vom Reichtum an Inspiration befeuert, zumal er sich nicht mit einem Librettisten herumschlagen musste, denn das hatte er nach einigen literarischen Vorlagen selbst verfasst.
Es geht turbulent zu. Die Figuren der Commedia dell’arte treiben ihr Unwesen, es wird gezaubert und verhext, was das Zeug hält und die Personen der Handlung dürfen in entsprechend witzige, alberne, und plakative Kostüme (Nina Lepilina) schlüpfen. Sie agieren mit hohem Tempo, denn Regisseur Guillermo Amaya setzt ganz auf Taten- und Bewegungsdrang, so dass ein heiteres, ganz und gar „verrücktes“ Spiel entsteht. Dabei rückt er ein oft bizarres Webmuster ins Auge, wenn die Bühne von Ralph Zeger wie Varietétheater oder Zirkusprospekt die Handlungsräume öffnet oder schließt.
Die Typen sind gut drauf, und eine Vielzahl von Sänger-Spielern individuell typisiert. Prokofjew braucht in dieser Oper viel Personal, hat einen hohen Verschleiß an Prinzessinnen, Zauberinnen, Narren und Helden. Allen voran natürlich der Prinz, an melancholischer Verstimmung leidend, den niemand erheitern kann, bis eben die Orangengeschichte ihren Lauf nimmt. Tenor Winfrid Mikus ist ein sängerisch und darstellerisch überzeugender Prinz, seine Stimme hat ein unverwechselbares Timbre, er selbst ist eine Bühnen-Natur.
Bassbariton James Homan überzeugt als besorgt sonorer Papa König und als Köchin, während João Terleira mit leicht geführtem Tenor der Spaßvogel Truffaldino gibt und Ipca Ramanovic mit feinem Bariton als Leander überzeugt. Und immer gut dabei: Bassist Wilfried Staber als Tschelio. Die Orangenprinzessinnen Ninetta (Ulrike Machill), Linetta (Jana Krauße) und Nicoletta (Mi Rae Choi) sind ganz in Weiß und liebreizend, Ninetta kriegt so gar den Prinzen ab. Intrigante Gegenfiguren sind Prinzessin Clarisse (Vera Semieniuk) und Fata Morgana (Katrin Kapplusch), sonst gefallen Carlotta Lipski, William Desbiens, Sang-Hoon Lee, Xiangnan Yao und Marek Janicki.
Der zum Saisonende scheidende Generalmusikdirektor Elias Grandy setzt die Musik am Pult des Philharmonischen Orchesters präzise, prägnant und illustrativ in Szene, man hört den Instrumentalisten ebenso gerne zu wie dem griffigen, von Michael Pichler einstudierten, kernig auftrumpfenden Chor, der einige die Handlung treibende Elemente ausführt.
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