Gedenktag - An diesem Samstag wäre Leonard Bernstein 100 Jahre alt geworden – Dirigent Karl-Heinz Steffens erinnert sich

„Unglaubliche Ausstrahlung“

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Karl-Heinz Steffens
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Leonard Bernstein (1918-1990), hier 1959 in New York, hätte am 25. August seinen 100.Geburtstag gefeiert. © dpa

Von Karl-Heinz Steffens

Ich durfte Leonard Bernstein in seinen letzten Jahren beim Bayerischen Rundfunk noch erleben. Dies war ja sein „deutsches Orchester“, da er bei den Berliner Philharmonikern zu Zeiten Herbert von Karajans bis auf eine 9. Mahler-Sinfonie niemals eingeladen wurde. Er war schon sehr krank, auch von seinem, doch ziemlich exzessiven Lebenswandel gezeichnet. Doch die unglaublich starke Ausstrahlung dieses Mannes verbreitete sich innerhalb von Sekunden auf der Bühne.

Für mich als jungen Kerl kaum zu glauben. Da stand der Mann, der die „West Side Story“ komponiert hatte. Aber er war nun nicht mehr dieser unglaublich smarte, gut aussehende New Yorker Tausendsassa, der sowohl als Dirigent und Komponist eine ganze Generation von Musikern hingerissen hatte. Und als Pionier der Musikvermittlung zum Vorbild für alles wurde, was nach ihm kommen sollte.

Nein, am Ende seines Lebens waren es Mozart und Haydn, zu welchen er sich hingezogen fühlte. Äußerlich schien er verzweifelt darüber, den körperlichen Verfall nicht aufhalten zu können; das spürten wir alle. Doch bei der Arbeit gab es dieses Anlehnen an die Heiterkeit und den Humor zum Beispiel eines Haydn.

Und aus dem ehemaligen Sonnyboy Lennie wurde offensichtlich im Laufe der Jahre eine der reifsten und gebildetsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, welche sich den Weg von der „West Side Story“ über die große Sinfonik des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zu den Urvätern Mozart und Haydn am Ende seines Lebens geebnet hatte.

Große humanistische Botschaft

Bei Lennie gab es nur die Chance, von diesem unumstößlichen Sendungsbewusstsein mitgerissen zu werden. Vielleicht war er einer der letzten Titanen am Pult, eine Jahrhundertpersönlichkeit, der jedes der Werke, die er dirigierte, aus der Perspektive des Komponisten betrachtete. Klar, er war quasi ein Pathetiker, stets mit überbordenden Emotionen, immer am Grat wandernd. Aber nun am Schluss Haydn und Mozart. Der Versuch zur Gelassenheit und zur Demut. Ich persönlich bin mit Karajan und Bernstein aufgewachsen, wie alle meiner Generation am Fernseher. Doch am Ende war ich dankbar, den Letzteren noch leibhaftig erlebt zu haben.

Sicher, da gab es noch „Freiheit schöner Götterfunken“, das Bernstein nach dem Mauerfall am Weihnachstag 1989 im Ost-Berliner Schauspielhaus am Ende aus Beethovens 9. Sinfonie gemacht hat. Ich fand es ein wenig „too much“ (zu viel), wie Lennie wahrscheinlich selber gesagt hätte.

Aber auch dies war Bernstein. Diese Besessenheit von der großen humanistischen Botschaft, sein unerschütterlicher Glaube an die heilende Kraft der Musik wirken heutzutage ja fast fremd, nahezu rührend, wenn man an unsere politisch-gesellschaftliche Gegenwart denkt. Doch der kleine Karl-Heinz Steffens ganz persönlich kann nur mit allergrößter Dankbarkeit an solch einen großen Mann zurückdenken.

Leonard Bernstein: Komponist, Pianist und Dirigent

Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Süd-Russland wurde 1918 als Louis Bernstein (Bild) in Lawrence im Bundesstaat Massachusetts (USA) geboren. Im Alter von 16 Jahren änderte er seinen Vornamen in Leonard.

Bernstein studierte an der Harvard-Universität Klavier und Komposition, 1943 sprang „Lenny“ für den erkrankten Bruno Walter in der Carnegie Hall ein. Er wurde bald Musikdirektor des New York Philharmonic Orchestra, regelmäßiger Gastdirigent der Wiener Philharmoniker und des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks.

Zu seinen berühmtesten Werken gehören die Musicals „On the Town“, „Candide“, „Trouble in Tahiti“ und vor allem „West Side Story“ sowie die „Chichester Psalms“, die Sinfonie „The Age of Anxiety“ oder „Kaddish“.

Privat galt er als sympathischer Lebemann. Trotz einer langen Ehe mit der chilenischen Schauspielerin Felicia Montealegre galt er als promiskuitiv und bisexuell. rcl

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