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Tod an der Wegkreuzung

Jimi, Janis, Kurt & Amy – Gedanken zum Totensonntag über den „Klub 27“ der allzu früh verstorbenen Popstars

Von 
Georg Spindler
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Im Uhrzeigersinn: Janis Joplin, Amy Winehouse, Jimi Hendrix, Kurt Cobain und Jim Morrison. © dpa, istock

Die Liste des „Klub 27“ ist ebenso eindrucksvoll wie tragisch: Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Janis Joplin, Amy Winehouse, Jim Morrison – sie alle starben im Alter von nur 27 Jahren. Aber die großen Fünf bilden lediglich die Spitze eines mächtigen Grabhügels, unter dem weitaus mehr Popstars beerdigt sind. Wikipedia listet sage und schreibe fast 70 „Klub“-Mitglieder auf. Und manche Berühmtheiten wie Keith Richards, Eric Clapton, Joe Cocker oder Iggy Pop standen mit 27 ganz, ganz nah am Abgrund. Der Totensonntag bietet einen Anlass, über den allzu frühen Tod dieser Musiker nachzudenken. Gibt es Gründe für das Phänomen? Ist es nur Zufall? Spielen psychische Veranlagungen oder gesellschaftliche Einflüsse eine Rolle? Der Versuch einer Klärung.

Am Anfang des „Klub 27“ steht, wie eine düstere Ikone, der Bluesmusiker Robert Johnson. Der Legende nach soll er an einer Straßenkreuzung einen Deal mit dem Teufel abgeschlossen haben: Ihm verkaufte er seine Seele, um dafür diabolische Fertigkeiten auf der Gitarre zu erlangen. In der Tat gilt Johnson, ein ebenso begnadeter Songschreiber wie virtuoser Gitarrist, als „King Of The Delta Blues“. Er starb unter nicht geklärten Umständen im August 1938; von einem eifersüchtigen Ehemann soll er vergiftet worden sein, womöglich war aber auch Syphilis die Todesursache. Johnson hat der Nachwelt Klassiker wie „Dust My Broom“, „Love In Vain“ oder den „Cross Roads Blues“ hinterlassen, die bis heute immer noch vielfach gecovert werden.

Viele sind gestorben, als sie an einer Wegkreuzung standen

Das Bild einer schicksalhaften Straßenkreuzung ergibt mit Blick auf den „Klub 27“ durchaus Sinn. Denn viele der Berühmtheiten sind gestorben, als sie an einer Wegscheide standen. Jimi Hendrix war dabei, sich musikalisch neu zu orientieren. Er sprach mit Miles Davis über ein gemeinsames Jazzrock-Projekt und soll mit Emerson, Lake & Palmer die Gründung einer Supergroup geplant haben. Janis Joplin hatte nach Problemen mit vorherigen Bands endlich ein stabiles Ensemble gefunden, mit dem sie ihre Erfolgsplatte „Pearl“ aufnahm, deren Veröffentlichung sie nicht mehr erlebte. Brian Jones hatte sich kurz vor seinem Ableben von den Rolling Stones getrennt, wollte eine Solokarriere starten. Und Kurt Cobain war verzweifelt dabei, die Vereinnahmung durch den Massenerfolg seiner Band Nirvana abzuschütteln, der ihm als Apologeten der Punk-Subkultur zuwider war.

Psychologen weisen darauf hin, dass 27 ein Alter ist, das für die meisten Menschen einen Einschnitt markiert. Studium und/oder Ausbildung sind beendet, viele haben eine feste Partnerschaft gefunden, die Lebensphase der Identitätsfindung ist abgeschlossen. Mit 27 hat sich die brodelnde Energie der Jugendzeit verfestigt, es bricht eine neue Phase an, in der wichtige Entscheidungen zu treffen sind. Will man auf dem eingeschlagenen Weg die nächsten Jahrzehnte weitermachen, bis zur Rente? Oder soll man das Steuer herumreißen in eine ganz andere Richtung? Die Zukunftsplanung wird dabei oft auch von Unsicherheit und Zweifeln überschattet.

Wer seelisch labil ist, den kann diese Herausforderung überlasten. Die Psychologie-Plattform „Calm ‘n‘ Caring“ weist in einem Beitrag von 2023 darauf hin, dass viele der 27-jährig verstorbenen Stars mit psychischen Beeinträchtigungen zu kämpfen hatten: Depression, bipolare Störungen, Angstattacken. Eines der fatalsten Beispiele liefert Alan Wilson, dessen hoher Gesang der US-Band Canned Heat 1968 die Hits „On The Road Again“ und „Going Up The Country“ bescherte. Der hochbegabte, hypersensible Musiker, der damals schon Songs über die drohende Klimakatastrophe schrieb („Poor Moon“), war eine fragile Persönlichkeit, gepeinigt von Furcht und Depression. Womöglich litt er unter nicht erkanntem Autismus. Er starb 1970 an einer Tablettenvergiftung.

Kurt Cobain ist ein anderer früh Verstorbener, der jahrelang mit Phobien, bipolaren Störungen, Depressionen zu kämpfen hatte, die er in Songs wie „Lithium“, „Pennyroyal Tea“oder „I Hate Myself And I Want To Die“ thematisierte. Nachdem er eine Überdosis Heroin genommen hatte, erschoss er sich am 5. April 1994. Auch Richey Edwards von den britischen Magic Street Preachers machte seine Depressionen öffentlich, sprach darüber in Interviews und stellte sich auf Fotos mit selbst aufgeschlitzten Armen zur Schau. Beim letzten Auftritt mit der Band im Dezember 1994 zerschmetterte er seine Gitarre, sechs Wochen später verschwand er spurlos, 2008 wurde er für tot erklärt.

Bei Cobain wie bei vielen anderen des „Klub 27“ spielt Drogenkonsum eine wichtige, oft entscheidende Rolle, da er psychische Labilitäten noch verstärkt. Darüber hinaus sorgt er auch für körperliche Beeinträchtigungen. Der Mediziner Nigel Barber weist in einem Beitrag für das US-Magazin „Psychology Today“ von 2020 darauf hin, dass es bei intensivem Rauschmittel- und Alkoholkonsum im Schnitt zehn Jahre braucht, bis es zu lebensbedrohlichen Organschäden kommen kann. Viele vom „Klub 27“ haben ihre Sucht bereits als Teenager begonnen. Ron „Pigpen“ McKernan, der rauhkehlige Sänger und Organist, der den Grateful Dead in den 1960ern eine Blues-Expressivität verlieh, die sie nach seinem Tod nie mehr haben sollten, war schon Alkoholiker, als er die Band 1965 mitbegründete. 1973 starb er an Leberzirrhose. Auch Amy Winehouse starb, obwohl sie auch heroinabhängig war, 2011 an einer Alkoholvergiftung.

Riskanter und exzessiver Lebensstil

„Psychology Today“ macht auch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: Mitte 20 hätten Männer die höchste Testosteron-Ausschüttung. Der hormonelle Überschwang, so die Annahme, sorge bei vielen Stars zu einer extrem riskanten Lebensweise und einen exzessiven Lebensstil. Das trifft auf die meisten „Klub 27“-Mitglieder zu, aber auch auf die weiblichen wie Janis Joplin oder Amy Winehouse. Näher an der Realität ist wohl die Ansicht des deutschen Psychologie-Professors Borwin Brandelow, der als verbindenden Faktor der 27er eine Borderline-Störung ausmachte. Sie erreiche im Alter von 27 ihren Höhepunkt. Für Brandelow ist Winehouse ein falltypisches Beispiel, weil sie unter Drogenabhängigkeit, Magersucht und selbstverletzendem Verhalten litt. „Keine andere Krankheit vereint alle drei Symptome“, sagte er 2011 in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“. Borderliner litten an einem Endorphin-Mangel im Gehirn, der Konsum von Drogen und Alkohol würde diesen Mangel ausgleichen.

Vielleicht hat ja letztlich die, zugegeben romantische, These Gültigkeit, dass wahre Kreativität nur außerhalb gesellschaftlicher Konventionen entstehen kann. Denn offensichtlich gedeiht Kunst meistens nicht in bequemer bürgerlicher Behaglichkeit, sondern in problematischen Situationen von Unzufriedenheit, Entfremdung und Verstörung. Es ist wie bei Diamanten – sie entstehen auch nur unter Druck.

Redaktion

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