Ein wilder Mix aus Werken des 20. und 21. Jahrhunderts? Im Stuttgarter Schauspiel funktioniert er hervorragend: „Die sieben Todsünden / Seven heavenly sins“, eine Kooperation aus Schauspiel, Ballett und Stuttgarter Oper, ist ein imposantes Gesamtkunstwerk, das die Rüge an einer Gesellschaft, die die Frau unterwirft und dem Kapitalismus frönt, zu verbindenden Elementen macht.
Dafür gab es bei der Premiere mehr als zehnminütigen ausgelassenen Applaus. Im ironischen Ballett mit Gesang von Bertolt Brecht und Kurt Weill schickt Regisseurin Anna-Sophie Mahler die Schauspielerin Josephine Köhler, den Tänzer Louis Stiens zu dessen Choreografie in den Boxring und die Elektro-Clash-Sängerin Peaches an den Punchball.
Es ist der Kampf der androgyn vervielfältigten Anna gegen sich selbst, gegen das Leben und eine Familie, die sie für den Preis eines Eigenheims zur Prostitution und anderen fragwürdigen Handlungen nötigt. Eindringlich gesungen von Opernmitgliedern und Peaches und begleitet vom Staatsorchester Stuttgart unter Stefan Schreiber, das als Publikum um den Ring sitzt, flackern die Vergehen auf, die die Frage nach den Sündigen neu stellen.
Grandiose Bilder und Licht- und Schatten-Effekte zu Macht und Ohnmacht formen daraus ein ergreifendes audio-visuelles Spektakel. Starker Gegenpart ist Peaches’ provokanter Auftritt, bei dem sie sich mit hämmerndem Elektro-Punk, Vagina-Kostümen und schreiend rotem Licht als Kämpferin gegen eingefahrene Geschlechterrollen und sexuelle Freiheit empfiehlt.
Gegen alle Zwänge
Virginie Despentes autobiografisches Essay „King Kong Theorie“ – von Köhler beeindruckend gegeben – passt als Plädoyer hervorragend ins Konzept dieser Emanzipation von Idealen und Zwängen.
Und es wird ergänzt von Charles Ives’ „Unanswered Question“ mit der Darstellerin Melinda Witham. Sie begleitet das Fragemotiv der Trompete und das dissonante Durchbrechen der Idylle mit pantomimischen Mitteln.
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