Schauspiel - Theater zeigt zur Spielzeiteröffnung und als Reaktion auf den Lockdown die szenische Altstadt-Installation „Durchblicke“ / Spiel an zehn Standorten

Theater Heidelberg startet Spielzeit an zehn Orten in der Altstadt

Von 
Martin Vögele
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Schminken als Kunst: Ramona Bauer bemalt Magdalena Wabitsch. © Reichardt

Dass die Performance des Tänzerpaars Yi-Wei Lo und Kuan-Ying Su im Schaufenster eines Bekleidungsgeschäftes stattfindet, das den Namen „Glück“ trägt, dürfte kein Zufall sein – so innig verschränkt und voller verschlungener Harmonie bewegen sich die beiden mit- und zueinander. „Die Seele ist materiell, auf sehr subtile Weise“, lässt sich dazu die Stimme von Schauspielerin Lisa Förster auf den Smartphone-Kopfhörern vernehmen, die aus Jean-Luc Nancys Textband „Ausdehnung der Seele“ zitiert.

Diese wunderbare kleinformatige Performance nach choreografischer Konzeption von Iván Pérez, künstlerischer Leiter des Dance Theatre Heidelberg, dem auch die beiden Tanzenden angehören, ist Teil des Schaufenster-Theaterspaziergangs „Durchblicke“. Die szenische Installation des Theater und Orchesters Heidelberg an zehn Spielpunkten in der Altstadt ist in Kooperation mit den Geschäften sowie Künstlern der Freien Szene in Reaktion auf den Corona-Lockdown und seine Folgen entstanden. „Durchblicke“ wurde bereits im Juli gezeigt – jetzt eröffnet der zweitägige und jeweils zweistündige Theaterspaziergang die neue Spielzeit. Begleitet werden die theatralen Aktionen von Audiospuren, die sich via QR-Code mit dem Smartphone ansteuern lassen.

Tanz und Körper-Performance, der physischen Interaktion mit und im Raum, begegnen wir auch im Antiquariat Hatry, bei artes liberales universitas und in der Galerie Klaus Staeck. Bei Seyfarth Einrichtungen lässt sich ein Orakel befragen und ebenso können die Zuschauer bei eye and art mit den Darstellern in Interaktion treten.

Akribische Hygiene

Mal rückt sich das Visuelle in den Vordergrund, mal bilden Texte, Musik, Sound und Gesehenes eine Einheit und manchmal lädt sich ein Spannungsbereich auf – wie beim Cocktail-Café Regie, wo die ausgeklügelte Morgenroutine des psychopathischen Protagonisten Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis’ Roman „American Psycho“ zu hören ist, während Schauspielerin Magdalena Wabitsch nach allen Regeln der Theaterkunst geschminkt wird. In der Hauptstraße schiebt Schauspieler Marco Albrecht einen Einkaufswagen durch eine leerstehenden Ladenfläche, befeuert von der frustriert irrlichternden Text-Wut, die Virginie Despentes’ „Das Leben des Vernon Subutex“ entströmt.

„Akribische Hygiene“ kann im Café Schafheutle beobachtet werden, wo Ensemblemusiker ihre auseinandergenommenen Instrumente aufs faszinierend Gründlichste reinigen, und in einem Theatersaal in der Friedrichstraße bemalt Künstler Björn Ruppert meterlang von der Decke wallende Kleider mit dem Pinsel, während auf der Tonspur das „Freundschafts-Duett“ aus Verdis „Don Carlos“ erklingt. Die Musik behält man kurzerhand weiter auf dem Ohr, als man den Weg fortsetzt, beschwingt und ziemlich neugierig darauf, welche neuen Energieformen und kreativen Prozesse die Spielzeit 2020/2021 weiter freisetzen wird.

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