Klassik

SWR-Symphonieorchester in Mannheim: Wie Karfreitag ohne Ostern

Dirigent Robert Treviño inszeniert einen mehrdimensionalen Klangkörper im Rosengarten

Von 
Uwe Rauschelbach
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Dirigent Robert Treviño inszeniert mit dem SWR-Symphonieorchester einen mehrdimensionalen Klangkörper im Rosengarten. © Manfred Rinderspacher

Mit Kompositionen von Samuel Barber, Jean Sibelius und John Adams hatte das SWR-Symphonieorchester Werke aufs Programm gesetzt, die keinen fröhlich-leichten Genuss versprachen. Die Schwermut behielt am Ende aber nicht die Oberhand – auch wenn das Konzert auf Gustav Mahlers „Katastrophenakkord“ aus der Zehnten Symphonie zusteuerte. Doch nach all diesen opulenten und aufwühlenden Klangwogen, die durch den Mozartsaal des Mannheimer Rosengartens schwappten, setzte sich am Ende der Eindruck einer beglückenden Erfahrung durch.

Samuel Barbers „First Essay for Orchestra“ öffnet in den dunklen Farben der Kontrabässe, Celli und Bratschen die knarrende Tür zu einem imaginären Schattenreich; doch melden die Bläser, unterstützt von heftigen Paukenwirbeln, in gemessener Diktion ihre Ansprüche an. Das scherzohafte Keckern der Holzbläser leitet dynamische Steigerungen ein, die den elegischen Harmoniewirkungen dennoch Raum zur Entfaltung lassen. Das gegenüber den nachfolgenden Werken geradezu gefällige Stück endet wie ein Hauch – Musik, die ihr flüchtiges Wesen einbekennt.

Sibelius verarbeitet in seiner Vierten Symphonie nicht nur persönliche Leiderfahrungen. Seine Komposition ist auch als Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Musik als solcher zu hören. Die schleppende Tristesse, die aus den Sekunden der Bässe trieft, jenes Cello-Solo, das nach den aufhellenden Bläsereinsätzen den Rückfall in das lähmende Phlegma dieser Musik beklagt, lassen sich im Spiel der SWR-Symphoniker als zirkuläre Suchprozesse deuten, die im Nirgendwo landen.

In Splitter fragmentierte Kunst

Anfänge versanden, Aufbrüche werden gestoppt, Entwicklungen unterbrochen. Kunst erscheint hier nicht mehr als Ganzheit, sondern in Splitter fragmentiert. Robert Treviño verwebt diese Bruchstücke mit ruhiger Bedachtsamkeit; das Orchester reagiert spontan und präzise auf die vielfältigen harmonischen Wandlungen und rhythmischen Wechsel. Es verschläft auch die beträchtliche dynamische und klangliche Steigerung am Ende des dritten Satzes nicht. Im Finale scheint, wie die wirbelnden Streicher und gar ein Glockenspiel verheißen, Befreiung aus der Lethargie möglich. Geige, Bratsche und Cello spielen schöne Soli, Flöte und Oboe schwingen sich empor. Doch die Schwerkraft dieser Musik beendet auch diesen Höhenflug, bevor er richtig begonnen hat. Die Erlösung bleibt aus – wie Karfreitag ohne Ostern.

John Adams’ „Harmonielehre“ ist ein spektakuläres Werk mit zahlreichen Anspielungen: auf Arnold Schönbergs Zwölftontechnik zuallererst, aber auch auf Wagners Parsifal und Mahlers Zehnte, die der amerikanische Komponist in affirmativer beziehungsweise ironischer Absicht kommentiert. Auch C.G. Jung und Meister Eckhart bevölkern diese von abenteuerlichen Fantasien und surrealen Bildern überfließenden Komposition. Ein Containerschiff, das sich wie eine Rakete in die Luft erhebt, inklusive.

Das SWR-Symphonieorchester öffnet einen musikalischen Raum, in dem die Grenzen zu verschwimmen scheinen. Robert Treviño dirigiert einen mehrdimensionalen Klangkörper mit seinen die Minimal Music imitierenden Repetitionen, den polyrhythmischen Mustern, den über- und nebeneinander verlaufenden Tonspuren und einem riesigen Arsenal an Instrumentenstimmen. Ein Organismus, der sich selbst zu verschlingen droht.

Am Ende verwandelt sich das Orchester in eine riesige Rhythmusmaschine, die uns kräftig durchrüttelt. Musik, die so zupackt, macht katastrophisch glücklich.

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