Mannheim. Er ist in den USA zur Amtseinführung höchster Staatsmänner und Richter aufgetreten, hat die offiziellen Feierstunden musikalisch würdig eingerahmt. Nur in den Trump-Jahren hat sich der Geiger Joshua Bell in dieser Hinsicht auffällig zurückgehalten. Seit 2011 hat er ja auch ein starkes zweites Standbein, das den Mann aus Bloomington, Indiana, oft nach London führt: in seiner Eigenschaft als Chef der ziemlich ruhmreichen Academy of St. Martin in the Fields. Selbst wenn die heute nicht mehr jene allumfassende Präsenz zeigt (und schon gar nicht auf dem Krisen-Markt für Tonträger), die sie unter dem Gründungsdirigenten Neville Marriner zu einem großen Player auf dem internationalen Klassikmarkt gemacht hatte.
Auch ihre mit modernen Instrumenten konzipierte kammerorchestrale Klangästhetik kann nur noch bedingt als maßstabsetzend gelten. Dennoch ist der Auftritt der Academy bei ihrem Mannheimer Pro Arte-Gastspiel durchaus eindrucksvoll. Mag auch beim ersten Stück, das sie im Mozartsaal des Rosengartens präsentiert, eine gewisse Stilverfälschung vorliegen. Es handelt sich um die Bearbeitung einer Bearbeitung der fast schon heiligen Chaconne aus der für eine Solovioline komponierten zweiten Bach-Partita.
Robert Schumann hatte ihr eine Klavierbegleitung angedeihen lassen, diese hat James Stephenson, ein Komponist vom Jahrgang 1969, für ein kleineres Orchester eingerichtet. Durchaus hellhörig, mit feiner Holzbläser-Behandlung. Aber eben auch romantisierend, kontrapunktische Konturen lösen sich manchmal im Mischklang auf.
Esprit und Eleganz
Die Hauptrolle spielt freilich, das versteht sich, Sologeiger Joshua Bell, ein Mann, der auch schon Mitte 50 ist, aber noch immer jung und sportlich auftritt. Mit elastischen Arpeggien. Ohne je den Stradivari-Spieler raushängen zu lassen. Bell gibt nicht bloß hier den Anti-Paganini, sondern tut dies auch beim Meister selbst. Was dessen erstem Violinkonzert sehr gut bekommt, so viel Esprit und Eleganz hat es nicht immer. Paganini klingt bei Bell fast wie ein Meister des Belcantos, nicht allein im Mittelsatz akzentuiert der Geiger die gesanglichen Passagen. Und er schafft es, sich den herrlichen Lyrismen zuzuwenden, ohne das Zirzensische zu unterdrücken: Paganini hat schließlich den Doppel-Axel - pardon: Flageoletts im Doppelgriff - für den Konzertparcours erfunden. Doch die A-Note ist eher unerheblich. Joshua Bell beweist den künstlerischen Wert des Ganzen.
Augenzwinkernde ironische Distanz ist manchmal auch zu spüren, schon in der Orchestereinleitung mit ihrem Säbelrasseln und charmanten Tschingderassabum. In Schumanns zweiter Sinfonie indessen bringt die Londoner Academy trotz der synkopisch sperrigen Orchestersprache eine Menge (Nach-) Druck in die psychopathologischen Erschütterungen der Musik. Die Satzschlüsse geraten nahezu furios. Und Joshua Bell am ersten Geigenpult ist ein niemals ermüdender Impulsgeber.
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