Heidelberg - Über 30 Galerien, Museen und Kulturhäuser präsentieren entlang der Hauptstraße Konzerte, Mitmach-Aktionen und Performances

Spaziergang zu den Facetten einer Stadt

Von 
Dan Eckert
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"Aber wiiiie?", ruft Dorothea Ernst gedehnt und leitet so das Finale ihrer avantgardistischen Performance "Kleines Musiktheater" im Heidelberger Forum für Kunst ein, in dem es um kuriose Dinge wie tanzende Hirschkäfer oder quietschend zerteilte Luft geht. "Aber wiiiie?". Eine ähnliche Frage dürften sich auch die Besucher der Langen Nacht der Museen stellen. Wie nämlich soll man es schaffen, alleine in Heidelberg über 30 Galerien, Museen und andere interessante Orte zwischen 19 und 2 Uhr zu besichtigen? Gar nicht, wäre eine Antwort. Indem man sich das Beste heraussucht, wäre eine andere, die das Problem aber nicht wesentlich vereinfacht. Denn: Das Angebot an Sehenswertem und Interessantem ist überaus groß, auch wenn zwei sonst sehr beliebte Anlaufpunkte in diesem Jahr fehlen: das Schloss und die Print Media Academy.

Ein Stuhl für Scherenschnitte

"Vom Feuertanz zum Feuervogel" heißt etwa das Motto des Kurpfälzischen Museums, das mit seinem an keltische Rituale angelehnten Feuertanz von Sora für großen Andrang sorgt. Wer sich außerdem in der stadtgeschichtlichen Abteilung des Hauses über die eisenzeitliche Kultur informiert, kann sich dort auch an der Herstellung von keltischem Schmuck versuchen. Faszinierende Druckgrafiken von Albrecht Dürer bis hin zu den blockhaften Holzschnitten von HAP Grieshaber findet man in der Sonderausstellung "Kunst auf Papier" nebenan, wo Besucher die Möglichkeit haben, mittels eines historischen, sogenannten "Silhouettier-Stuhls" einen Schattenriss von sich anfertigen zu lassen. Wer schon immer eines der im 18. Jahrhundert ungemein populären Bildchen haben wollte, wird hier versorgt.

Einer der Höhepunkte der Nacht ist die Ausstellung "PING PONG" des Künstlerduos Stoll&Wachall in der Galerie Julia Philippi. Jacqueline Wachall und Klaudia Stoll zeigen dort spannungsgeladene Fotografien, Malereien und Videoinstallationen. In einer ironischen Videoinstallation mit dem eigenwilligen Titel "The future is gold" sieht man zwei Frauen, deren Köpfe in goldenen Handtaschen stecken und mit Sätzen wie "I'm so sexy" (Ich bin so sexy) oder "Gold future beginning in one second" (was so viel wie "Die goldene Zukunft beginnt in einer Sekunde" heißt) Klischees fremdgesteuerter Werbeopfer zeigen - großes Kino ist das! Wer möchte, kann außerdem zwischen den Künstlerinnen Platz nehmen und mit ihnen in einen zeichnerischen Dialog treten.

Historisch Interessierte zieht das Friedrich-Ebert-Haus in der Altstadt an. Wer hier die winzige Wohnung betritt, in der der erste Reichspräsident der Weimarer Republik in einer achtköpfigen Familie aufwuchs, wird von seiner alten Mutter begrüßt, die viel über "den Fritz" zu berichten hat. Der Politiker ist nicht der einzige Sohn der Stadt, der vorgestellt wird. In seinem Atelier in der Heiliggeiststraße zeigt Gülay Keskin "Heidelberger Charakterköpfe", die er in kraftvollen Schwarz-Weiß-Bildern abgelichtet hat. Der Grafiker und Verleger Klaus Staeck, der Bundestagsabgeordnete Lothar Binding oder der Musiker Balsamico blicken dem Besucher aus dunklem Hintergrund entgegen. Dass man mit Heidelberg aber auch einiges mehr verbindet als seine bekannten Köpfe, zeigt die Galerie Ostendorff in der Brückenstraße mit "Souvenirs, Souvenirs!". Gänsekot aus Neuenheim gibt es da in Porzellanschälchen oder die auf Bürgersteigen oft anzutreffende "Crema di Cacca di Cani" im Eisbecher, Hundekot - alles aus Acryl, versteht sich.

Und dann ist da noch die lange Nacht der Musik - zumindest ließe sie sich unter diesen Namen problemlos einführen, denn fast immer startet irgendwo eine Performance oder ein Konzert. Im Kunstverein inszeniert Ulf Aminde seine Ausstellung mit einem sprechenden, flüsternden, rufenden "Chor der Unterbrechung" aus Studenten, der fast eine Stunde lang den Raum durchschreitet und dabei "dringlich", "klerikal" oder "besserwisserisch" spricht. In der mit einer riesigen Goldfolie ausgehängten Jesuitenkirche gibt es wunderbaren "Jazz am Flügelaltar" und im Museum Haus Cajeth präsentieren die Pianistin Miriam Weiss und der Fotograf Jessen Oestergaard träumerische "Soundlines", um nur einige Angebote zu nennen - einige von vielen, die man gesehen haben sollte.

"Aber wiiiie?" in einer Nacht? "Nacheinander, ineinander, aufeinander," schlägt Dorothea Ernst in ihrer Performance vor. Versuchen kann man es ja, beim nächsten Mal.

Freier Autor

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