Schauspiel

So zeigt „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ die Kraft der Musik

Trotz großer Themen erstaunlich leichtfüßig: „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen.

Von 
Karolin Jauernig
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Ein Auto, zwei Charaktere, eine leise Veränderung: Miss Daisy und Hoke auf dem Weg zueinander. © Karolin Jauernig

Ludwigshafen. Mit quietschenden Reifen, einem dumpfen Knall und einem Zwischenruf aus dem Publikum – „Auch schon bisschen älter!“ - beginnt der Theaterabend im Pfalzbau. Was zunächst nach einer charmant-altmodischen Komödie klingt, entpuppt sich als vielschichtiges Kammerspiel über Stolz, Vorurteile und die Kunst des Verstehens. Miss Daisy und ihr Chauffeur, in Szene gesetzt von Frank Matthus, entführt das Publikum ins Atlanta der späten 1940er, mitten hinein in eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs.

Ein Kammerspiel voller Reibung, Rhythmus und leiser Töne

In der Rolle der Miss Daisy läuft Doris Kunstmann zur Höchstform auf. Ihre Interpretation der eigenwilligen jüdischen Witwe – stolz, unbeugsam und fest verwurzelt in ihren Prinzipien – sprüht vor feiner Ironie und spannungsgeladener Präsenz. Mit ihrer markanten Stimme – tief, rau und gelegentlich charmant altmodisch gerolltem „r“ – setzt sie jedes Wort wie einen kleinen Nadelstich. Autofahren soll sie nicht mehr, doch jede Unterhaltung lenkt sie mit der Entschlossenheit eines Panzers und dem unerschütterlichen Selbstverständnis einer Frau, die sich auf ihrem inneren Thron bestens eingerichtet hat.

Ihr Sohn Boolie ist weit mehr als eine Nebenfigur. Benjamin Kernen verleiht dem pragmatischen Geschäftsmann genau jene Mischung aus Nachsicht, Ironie und innerer Distanz, die es braucht, um sich zwischen den Welten seiner Mutter zu bewegen.

Und dann tritt Hoke Coleburn in ihr Leben – und auf die Bühne: Ron Williams füllt den Raum mit einer Wärme, die nicht laut sein muss, um sofort spürbar zu werden. Schauspieler, Entertainer, Soulsänger: Er bringt nicht nur Präsenz, sondern ein tiefes Gespür für die Figur mit. Mit weichem Südstaaten-Akzent und feinem Witz gestaltet er Hoke als klugen Beobachter, geduldigen Begleiter und unaufdringlichen Helfer. Er ist Miss Daisys Fahrer, aber mehr noch: ein stiller Gegenspieler, der ihr die Stirn bietet, ohne je auf Konfrontation zu setzen. Und wenn Williams singt, etwa das Spiritual „Oh Freedom“, legt sich ein flirrend ernster Ton über den Saal. Es sind keine gesungenen Zeilen, es sind Schichten von Geschichte, die sich öffnen, mit einer Stimme, die nicht nur gehört, sondern gespürt wird.

Standing Ovations für ein Stück über Würde, Wandel und leise Größe - das Ensemble vereint auf der Bühne. © Karolin Jauernig

Die Inszenierung greift große Themen auf – Rassentrennung, religiöse Ausgrenzung, Alter, Abhängigkeit – und bleibt dabei erstaunlich leichtfüßig. Nichts wirkt belehrend, stattdessen entfaltet sich das Politische in stillen Momenten, scharfen Dialogen und feinem Humor.

Am Ende kehrt Ron Williams noch einmal zurück auf die Bühne, diesmal als er selbst. Er erzählt vom eigenen Erleben der Rassentrennung, davon, wie sehr Musik Trost und Widerstand zugleich sein kann. Und wenn er dann „Georgia on my Mind“ anstimmt, wird aus einem Lied ein Vermächtnis.

Als die letzten Töne im Halbdunkel verklingen, liegt für einen Moment eine Stille über dem Raum, die schwerer wiegt als jeder Applaus. Dann hebt er sich doch, erst zögernd, dann wie befreit. Kein routiniertes Klatschen, sondern ein Dank an einen Abend, der nicht bloß erzählt, sondern berührt hat. Miss Daisy und ihr Chauffeur rollt nicht in ein Finale, es zieht weiter, wie ein Wagen, dessen Rücklichter man noch lange am Horizont sieht.

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